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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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Lukretia: Keuschheit, eheliche Treue, politischer Umsturz<br />

das Gewicht auf die politische Dimension des Ereignisses, Ovid 4 akzentuiert die<br />

erotische Komponente, Valerius Maximus 5 stellt, der Intention seiner Exempla-<br />

Sammlung entsprechend, die moralische Bewertung der heroischen Tat in den Mit-<br />

telpunkt. Lukretias Freitod, ihre weibliche Scham (pudicitia) 6 und ihr männlicher Mut<br />

(virilis animus) wurde von den Kirchenvätern kontrovers bewertet. <strong>Die</strong> Kritik über-<br />

wiegt jedoch: Nach Tertullian handelte Lukretia aus eigensüchtigen Motiven 7 , trotz<br />

der positiven Einschätzung des Hieronymus wird sie für <strong>August</strong>inus geradezu zum<br />

Typus einer ruhmsüchtigen Römerin (»Romana mulier, laudis avida nimium«), die<br />

ein Übel durch ein noch größeres zu tilgen sucht. 8<br />

Lukretia: Literarische Rezeption<br />

In der literarischen Rezeption des Lukretia-Stoffes 9 lassen sich, sehr stark verein-<br />

facht, zwei Traditionslinien unterscheiden, die sich gelegentlich auch miteinander<br />

verbinden. Auf der einen Seite stehen mehr oder weniger aktualisierende politische<br />

Interpretationen, auf der anderen Seite wird der Selbstmord Lukretias zunächst<br />

moralistisch, dann psychologisch gedeutet, wobei die historischen Umstände ganz<br />

zurücktreten können.<br />

<strong>Die</strong> lateinische Historiographie des Mittelalters tradierte den Stoff weitge-<br />

hend unverändert, eine neue Variante erhielt die Lukretia-Geschichte erst in<br />

volkssprachlichen Bearbeitungen des Hohen Mittelalters. 10 <strong>Die</strong> um die Mitte des<br />

12. Jahrhunderts wahrscheinlich in Regensburg von Klerikern verfasste und weit<br />

verbreitete, bis ins 15. Jahrhundert hinein bearbeitete und fortgesetzte Kaiserchro-<br />

4 Ovid: Fasti II,685 und 721-852.<br />

5 Valerius Maximus: Factorum et dictorum memorabilium libri VI,1,1<br />

6 Unter dem Stichwort pudicitia wertet Hieronymus (Adversus Jovianum I,46) Lukretia <strong>als</strong> positives Beispiel:<br />

»Ad Romanas feminas transeam; et primam ponam Lucretiam, quae violatae pudicitiae nolens supervivere,<br />

maculam corporis cruore delevit.« (›Ich komme zu den römischen Frauen und erwähne an erster Stelle Lukretia,<br />

die aus Scham ihre Vergewaltigung nicht überleben wollte und die körperliche Schmach mit ihrem Blut<br />

tilgte.‹) Vergleichbares zu Porzia unten S. 167.<br />

7 Tertullian zählt Lukretia unter die Frauen, die »famae et gloriae causa« (des Ruhmes und der Ehre wegen)<br />

Selbstmord begingen (Ad martyres 4,3): »De feminis ad manum est Lucretia, quae vim stupri passa cultrum<br />

sibi adegit in conspectu propinquorum, ut gloriam castitati suae pareret.« (4,4)<br />

8 »Si adulterata, cur laudata; si pudica, cur occisa?« (›Warum verdient sie Lob, wenn sie eine Ehebrecherin<br />

war, warum hat sie sich getötet, wenn sie keusch blieb?‹) (De civitate Dei I,19)<br />

9 Zur Rezeption der antiken Tradition: Galinsky, Hans: Der Lucretia-Stoff in der Weltliteratur, Breslau 1932;<br />

Heinz, Günther »Gedanken zu Bildern der ›Donne Famose‹ in der Galerie des Erzherzogs Leopold Wilhelm«<br />

in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen, Wien, 77 (1981), S. 105-118; Donaldson, Ian: The rapes of<br />

Lucretia. A Myth and its Transformation, Oxford 1982; Follak, Jan: Lucretia zwischen positiver und negativer<br />

Anthropologie, Coluccio Salutatis ›Declamatio Lucretie‹ und die Menschenbilder im exemplum der Lucretia von<br />

der Antike bis in die Neuzeit, Diss. Konstanz 2002. – Galinsky hat in seiner positivistischen Materi<strong>als</strong>ammlung,<br />

die heutigen Ansprüchen nicht mehr entspricht, die unterschiedlichen Bearbeitungen des Stoffes zusammengetragen.<br />

Anregende Gedanken zum Thema, wenn auch nur auf die Galerie des Erzherzogs Leopold Wilhelm<br />

beschränkt, formuliert Heinz. <strong>Die</strong> Untersuchung Follaks ist im Sonderforschungsbereich 511 ›Literatur und<br />

Anthropologie‹ (http://www.ub.uni-konstanz.de/kops/volltexte/2002/914/pdf/follak01-text.pdf [letzter Zugriff:<br />

11.11.2006]) entstanden und im Netz zugänglich.<br />

10 Vgl. Galinsky, a.a.O., S. 20-22.<br />

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