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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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V Römische <strong>Tugendheldin</strong>nen in der Ikonographie der Frühen Neuzeit<br />

schen Übung Vater und Ehemann, danach Lukretia zu Wort, die Debatte kreist um<br />

Normen der Individualität und der Gesellschaft (gloria, pudicitia und libertas). 23 Der<br />

interessante Text zeigt, dass sich die Figur der Lukretia im Rhetorikunterricht der<br />

frühen Neuzeit dafür eignete, christlich geprägte moralistische Begriffe für die poli-<br />

tische Kultur der Frühen Neuzeit umzubesetzen. Vor diesem Hintergrund wird die<br />

zugleich moralistische und politische Deutung Lukretias in der Ikonographie der<br />

frühen Historienmalerei verständlich.<br />

Im Humanismus erfährt ein anderer Rezeptionsstrang eine eigenartige Ak-<br />

zentuierung: So wird die bei Livius erwähnte ›Frauenwette‹ 24 aufgegriffen und Luk-<br />

retia ›verbürgerlicht‹. Hatte bereits Boccaccio die häuslichen Tugenden der Röme-<br />

rin erwähnt, konfrontiert Francesco Barbaro (1390-1454) in seinem ›Hausbuch‹ De<br />

re uxoria (1415) 25 die bescheidene und schlichte Bewirtung bei Lukretia mit der<br />

höfischen Verschwendung Kleopatras 26 . So kann es nicht verwundern, wenn Hans<br />

Sachs (1494-1576), dessen Tragedia von der Lucretia (1527) 27 in einem Bürger-<br />

haus spielt, Lukretia <strong>als</strong> Prototyp der umsichtigen Hausfrau vorstellt und psycholo-<br />

gisches Interesse für den inneren Konflikt der Römerin mit moralistischer Ehelehre<br />

und politischen Aspekten verbindet.<br />

<strong>Die</strong> literarischen Bearbeitungen des 15. und 16. Jahrhunderts zeigen immer<br />

wieder Interesse für die Motive des Tarquinius und für die Konfliktsituation Lukre-<br />

tias, wofür die neunte Novelle Bandellos (1554) angeführt werden mag. Shakes-<br />

peare führt in seinem Kurzepos The Rape of Lucrece (1594) 28 diesen Rezeptions-<br />

strang fort und analysiert den psychologischen Antagonismus zwischen Tarquinius<br />

und Lukretia 29 .<br />

Im Gegensatz zu den anderen römischen <strong>Tugendheldin</strong>nen wurde der Luk-<br />

retia-Stoff überraschend spät von der neustoischen Tragödie der frühen Neuzeit<br />

23<br />

Follak, a.a.O., S. 105 ff.<br />

24<br />

Vgl. S. 118.<br />

25<br />

Francesco Barbaro: De re uxoria, Argentorati 1612; Buch II der Schrift behandelt die Haushaltsführung der<br />

Ehefrau (victus uxoris) und kontrastiert Lukretia und Kleopatra: »Et Lucretiae potius frugales mensas, quam<br />

Tarquiniarum et Cleopatrae sumptuosas delitias probent ac imitentur.« (›Hausfrauen sollen die bescheidenen<br />

Gerichte der Lukretia den kostspieligen Leckerbissen der Tarquinierinnen und der Kleopatra vorziehen und<br />

übernehmen.‹)<br />

26<br />

Vgl. Lentzen, M.: »Auffassungen über Ehe und Familie in Francesco Barbaros De re uxoria (1415) und Albrecht<br />

von Eybs Ehebüchlein (1472), Textstruktur und Textfunktion«, in: Guthmüller, Bodo (Hrsg.): Deutschland<br />

und Italien in ihren wechselseitigen Beziehungen während der Renaissance, Wiesbaden 2000, S. 44-60.<br />

27<br />

Hans Sachs: Tragedia von der Lucretia, in: Hartmann, Horst (Hrsg.): Heinrich Bullinger / Hans Sachs, Lucretia-Dramen,<br />

Leipzig 1973, S. 99-112.<br />

28<br />

Shakespeare, William: The Rape of Lucrece, in: The Complete Works of Shakespeare, hrsg. von Peter<br />

Alexander, London / Glasgow 1990, S. 1284-1307. Vgl. dazu Breitenberg, Mark: Anxious masculinity in early<br />

modern England, Cambridge 1996, insbesondere das dritte Kapitel: ›Publishing chastity: Shakespeare’s »The<br />

Rape of Lucrece«‹, S. 97-127.<br />

29<br />

Shakespeare nennt Lukretia eine »earthly saint« (v. 85).<br />

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