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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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X Exempla virtutis<br />

den ist.« 3 Kurz darauf wird das gleiche Interpretationsmuster erneut eingesetzt, um<br />

Giambattista Tiepolos Mucius Scaevola vor Porsenna [Abb. 2] in einem etwas an-<br />

deren Sinn <strong>als</strong> exemplum zu verstehen: Attilia Scarlini sieht in ihm einen Stellver-<br />

treter für das ganze römische Volk, das sich gegen die Etrusker zur Wehr setzte:<br />

»Hiermit wird <strong>als</strong> Exemplum Virtutis ein ideales und mutiges Volk gefeiert, das sich<br />

auch in schweren Zeiten seiner eigenen Würde bewußt blieb.« 4 Werden freilich die<br />

Protagonistin eines barocken Märtyrerdramas, die Zentralfigur eines Historienge-<br />

mäldes oder der rhetorische Bezug auf ein Vorbild der Antike im politischen Dis-<br />

kurs der Frühen Neuzeit unterschiedslos <strong>als</strong> exempla virtutis bezeichnet, kann dies<br />

für Leser, Betrachter und Hörer nur <strong>als</strong> Mitteilung eines rhetorischen Verfahrens,<br />

nicht aber <strong>als</strong> differenzierender Interpretationsansatz dafür gelten, was die Ver-<br />

wendung der geläufigen Bildmotive im Einzelfall oder doch in einer Bildgruppe ver-<br />

anlasste. Das Explikationspotential dieser Begrifflichkeit bedarf <strong>als</strong>o zumindest<br />

weiterer Präzisierung.<br />

Im persuasiven Kontext der R h e t o r i k erscheint das exemplum 5 seit Aristo-<br />

teles <strong>als</strong> ›einfache Form‹ 6 , die in politischer Rede, Historiographie, Philosophie und<br />

Dichtung eingesetzt wurde, um größere Anschaulichkeit zu erreichen. Kompilatio-<br />

nen wie die besonders erfolgreichen Facta et dicta memorabilia des Valerius Ma-<br />

ximus stellten Beispiele anthropologischer Standardverhaltensformen (wie iustitia,<br />

moderatio, crudelitas oder luxuria) zusammen und wurden <strong>als</strong> Tugend- und Las-<br />

terkataloge gelesen. In rhetorischen, literarischen und wohl auch bildkünstlerischen<br />

Zusammenhängen 7 konnte auf diese bereits in der Antike weitgehend in die mé-<br />

moire collective 8 eingegangenen ›historischen Versatzstücke‹ in der verschieden-<br />

sten Weise, positiv oder negativ, Bezug genommen werden. <strong>Die</strong> geläufigen Ver-<br />

fahren der antiken Rhetorik wurden in lateinischen Texten von den Kirchenvätern<br />

bis zu den Humanisten, aber auch in volkssprachlichen Predigten, Novellen und<br />

Fürstenspiegeln übernommen. Zahlreiche mittelalterliche Exempelsammlungen,<br />

auch in den verschiedenen Volkssprachen, belegen die Verbreitung und Beliebt-<br />

3 AK Triumph und Tod des Helden, a.a.O., S. 305.<br />

4 AK Triumph und Tod des Helden, a.a.O., S. 308.<br />

5 Vgl. <strong>Georg</strong>es, Karl Ernst: Ausführliches Lateinisch-deutsches Handwörterbuch, Hannover 1976 (ND der Ausgabe<br />

Gotha 14 1913), s. v. exemplum. Exemplum wird abgeleitet von eximere, was ›herausnehmen, auswählen‹<br />

bedeutet. So hat das vom Partizip Perfekt Passiv abgeleitete Nomen die Bedeutung: ›ein aus der Menge gleichartiger<br />

Dinge Ausgewähltes‹, ›Muster‹, ›Vorbild‹, ›Beispiel‹, ›Modell‹.<br />

6 Jolles, André: Einfache Formen, Tübingen 7 1999 ( 1 1930).<br />

7 Darauf verweisen immerhin einige Bildbeschreibungen bei Plinius und römische Wandgemälde.<br />

8 Halbwachs, Maurice: La mémoire collective, Paris 1950 u.ö.<br />

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