21.06.2013 Aufrufe

Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

VII Posttridentinische Märtyrer und stoische Tugendhelden<br />

<strong>Die</strong> »estenuata malinconia« 77 der halbfigurigen Kleopatra Renis konvergiert<br />

augenfällig mit der büßenden Exaltation seiner der Welt entrückten Magdalena.<br />

Beide Motive demonstrieren in ihrer Verkürzung zugleich Verzweiflung und morali-<br />

sche Selbstbehauptung. Auch hier gilt, dass die Heilige und die <strong>Tugendheldin</strong> nicht<br />

zu unterscheiden wären, dienten nicht ihre Attribute zur Identifikation. Jakob Burc-<br />

khardt hat für diesen Bildtypus Renis den Begriff »Sehnsuchtshalbfiguren« 78 ge-<br />

prägt: die Konzentration auf einen aus einem größeren Erzählzusammenhang he-<br />

rausgeschnittenen, dramatisch gestalteten Nahausschnitt hebt ganz auf die Ge-<br />

mütsbewegung und den pathetischen Ausdruck ab. Christliche und neustoische<br />

Andachtsbilder erinnern noch durch ein Attribut an den narrativen Zusammen-<br />

hang 79 , reduzieren ihn aber auf einen <strong>als</strong> ›Projektionsfläche‹ dienenden Affekt, in<br />

den sich der Betrachter ›einfühlen‹ soll. Aus einem »szenischen Historienbild« 80<br />

wird ein im Ausdruck überhistorisches »kultisches Repräsentationsbild«. Es »dek-<br />

lamiert« 81 mit visuellen Mitteln und appelliert in erheblichem Maße an die Gefühle<br />

des Betrachters: In diesem Sinne hat Reni auch seine halbfigurige Kleopatra zu<br />

einem Andachtsbild gemacht, das die Gefühlsqualität des selbstgewählten Todes<br />

betont und aus einem klassischen Thema der Historienmalerei ein profanes An-<br />

dachtsbild hervorgehen lässt.<br />

77 So Cristina Casali Pedrielli in: AK Guido Reni 1575 Ŕ 1642, Bologna, a.a.O., S. 170.<br />

78 Ich übernehme den Ausdruck von Jakob Burckhardt, der im Cicerone schreibt: »Wir wenden uns nun zu<br />

denjenigen Bildern, in welchen der Seelenausdruck vor dem erzählenden Element den Vorrang hat, um dann<br />

zur Behandlung des Überirdischen überzugehen. […] Zu einer endlosen Masse vermehren sich nunmehr jene<br />

einzelnen Halbfiguren, welche von den frühern Schulen in verschiedener Absicht, z. B. in Venedig <strong>als</strong> schöne<br />

Daseinsbilder waren gemalt worden. Jetzt liegt ihr Hauptwerth darin, dass man jenen gesteigerten Ausdruck<br />

ohne weitere Motivirung darin anbringen kann. <strong>Die</strong> S e h n s u c h t s h a l b f i g u r bildet fortan eine stehende<br />

Gattung.« (Burckhardt, Jacob: Der Cicerone [hrsg. von Roeck, Bernd / Tauber, Christine / Warnke, Martin],<br />

München 2001, [Kritische Gesamtausgabe Bd. 3] S. 250)<br />

79 Hierin liegt der entscheidende Unterschied dieses Bildtyps zu den tronies, Einfigurenbrustbildern, die von<br />

Rembrandts Orientalen bis zu isolierten Charakter- und Affektstudien reichen. Vgl. den Forschungsbericht von<br />

Hirschfelder, Dagmar / Raupp, Hans-Joachim: »Tronies in de Italiaanse, Vlaamse en Nederlandse<br />

schilderkunst van de 16de en 17de eeuw« in: Kunstchronik, 2001, S. 197-202.<br />

80 Panofsky, Erwin: »›Imago Pietatis‹. Ein Beitrag zur Typengeschichte des ›Schmerzenmannes‹ und der ›Maria<br />

Mediatrix‹«, in: FS Max Friedländer zum 60. Geburtstag, Leipzig 1927, S. 261- 308, hier S. 264.<br />

81 »<strong>Die</strong> Andachtsbilder verbinden <strong>als</strong>o das Angebot einer Vision, mit Personen zu sprechen, mit dem anderen<br />

Angebot, das Leben Christi oder der Heiligen plastisch nachzuerleben. Das subjektive Moment, über das man<br />

noch wenig nachgedacht hat, liegt nicht allein im erzählerischen Habitus begründet, sondern setzt die Offenheit<br />

des Ausdrucks oder der Situation voraus. Gerade damit kommt das Bild der Imagination des Betrachters<br />

entgegen, indem es ihr wenig Widerstand in den Weg setzt und keine Fesseln anlegt. <strong>Die</strong> Stimmung ist wichtiger<br />

<strong>als</strong> das Thema, und über dieses darf der Betrachter verfügen. <strong>Die</strong>se Offenheit ist insofern ein subjektives<br />

Moment, <strong>als</strong> auch die Metamorphosen des seelischen Zustands, wie ihn die mystische Praxis verlangt, ein<br />

solches Moment sind. <strong>Die</strong> Gemeinschaft verlangt gewöhnlich feste Verabredungen. In der Einheit des Individuums<br />

können sie entfallen.« (Belting, Hans: Bild und Kult, Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der<br />

Kunst, München 1990, S. 464)<br />

221

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!