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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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IV Liebe, Patriotismus und Selbstbestimmung: Sophonisbe <strong>als</strong> <strong>Tugendheldin</strong><br />

besgeschichten aus Antike und Mittelalter eingereiht, die auf den 32 Spielsteinen<br />

[Abb. 10] vorgeführt werden. 126<br />

Am Ende des 15. Jahrhunderts und zu Beginn des 16. Jahrhunderts gab es <strong>als</strong>o<br />

zwei Darstellungsvarianten Sophonisbes: eine stützt sich auf die von Boccaccio<br />

aufgegriffene historiographische Überlieferung 127 , die andere deutet, Petrarca fol-<br />

gend, Sophonisbe <strong>als</strong> große Liebende. Entsprechend wechselt der ›ikonologische<br />

Code‹ 128 für die Figur Sophonisbe. <strong>Die</strong> historiographische Variante stellt meist das<br />

T r i n k e n d e s G i f t s 129 dar und gibt diese Szene oft ganzfigurig; sie genügte<br />

offenbar, um beim Betrachter die komplexe Geschichte 130 der Sophonisbe aufzuru-<br />

fen. Wird – wie bei Tobias Stimmer – das Gewicht der Illustrationen auf die Haupt-<br />

und Staatsaktionen des Zweiten Punischen Krieges gelegt, fokussieren sich die<br />

Livius-Illustrationen auf Syphax <strong>als</strong> unterliegenden König. 131 Sophonisbe wird dann<br />

<strong>als</strong> vor Massinissa kniefällig Bittende und nicht <strong>als</strong> politisch Agierende gezeigt. <strong>Die</strong><br />

›romantische‹ Akzentuierung des Petrarca aufnehmend kann Sophonisbe aber<br />

auch <strong>als</strong> große Liebende gedeutet werden. Dann tritt sie im engen Anschluss an<br />

den Text des Petrarca zusammen mit Massinissa auf. 132 <strong>Die</strong>se Variante hat bei<br />

Kels zu einem Missverständnis geführt. Er übernahm die ›romantische‹ Deutung<br />

Petrarcas und interpretierte seine Vorlage, den die historiographische Variante bie-<br />

tenden Kupferstich von Pencz f<strong>als</strong>ch: der Bote im Kupferstich wird <strong>als</strong> Massinissa<br />

aufgefasst. Entsprechend erscheint auf dem Spielstein anstelle der Königin mit<br />

dem Überbringer der Todesbotschaft ein romantisches Liebespaar.<br />

126 Zum Spiel vgl. Thieme, U. / Becker, F.: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur<br />

Gegenwart, Leipzig 1929/1930 (ND München / Leipzig 1992), Bd. 19/20, S. 127-129.<br />

127 Anregungen verdanke ich, auch wenn ich der Hauptthese nicht folgen kann, dem Aufsatz von Tümpel,<br />

Christian: »Bild und Text: Zur Rezeption antiker Autoren in der europäische Kunst der Neuzeit (Livius, Valerius<br />

Maximus)«, in Schlink, Wilhelm / Sperlich, Martin (Hrsg.): Forma et subtilitas, Festschrift für Wolfgang Schöne<br />

zum 75. Geburtstag, Berlin / New York 1986, S. 198-218.<br />

128 Der Begriff nach Willems, Gottfried: Anschaulichkeit, Zu Theorie und Geschichte der Wort-Bild-<br />

Beziehungen und des literarischen Darstellungsstils, a.a.O., S. 54.<br />

129 Hier widerspreche ich Christian Tümpel, der die Auffassung vertritt, »bei vielen Themen« habe »sich schon<br />

im Mittelalter die Bildtradition vom wörtlichen Text gelöst«. »In dichterischer Phantasie« seien »Motive hinzugefügt<br />

worden, von denen der Text nichts berichtet.« (a.a.O., S. 205) <strong>Die</strong> Darstellungen folgen stets Livius (vgl.<br />

Fußnote 159).<br />

130 »<strong>Die</strong> erste und wichtigste Aufgabe des Kunstwerks ist [...], eine Geschichte vorzuführen. <strong>Die</strong>se Geschichte<br />

galt es aus zuverlässigen literarischen Quellen auszuwählen, die entweder geistlich oder weltlich sein konnten.<br />

[...] dieser neue Begriff von istoria [sollte] ikonographische Überlegungen für länger <strong>als</strong> dreihundert Jahre beherrschen<br />

[...]«. (Bialostocki, Jan: »Skizze einer Geschichte der beabsichtigten und interpretierenden Ikonographie«<br />

in Kaemmerling, E. [Hrsg.]: Bildende Kunst <strong>als</strong> Zeichensystem, Köln 1979, S. 15-63, hier S. 27.)<br />

131 Druck von 1568, vgl. Katalog 386.<br />

132 <strong>Die</strong>se ›romantische‹ Deutung, die den Akzent auf das Liebepaar Massinissa und Sophonisbe legt, wird von<br />

der Historienmalerei, die meist auf den Konflikt von Liebe und Politik abhebt, nur selten aufgegriffen. Vgl. unten<br />

S. 97ff.<br />

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