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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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VI Der Neustoizismus: Leitphilosophie der Frühen Neuzeit<br />

Der Untertitel des Dialogs De constantia hatte ausdrücklich die moralistische<br />

Ausrichtung hervorgehoben, die dem Leser Hilfe in publicis malis bieten sollte. 28<br />

Fünf Jahre später richtete sich Lipsius in seiner politischen Hauptschrift Politicorum<br />

sive civilis doctrinae libri sex, qui ad principatum maxime spectant ausdrücklich an<br />

die politische Führungseliten, Kaiser, Könige und Fürsten 29 . Sein Vorwort weist<br />

darauf hin, dass sich die erste Schrift an Bürger (cives), die neue an Fürsten wendet:<br />

30<br />

Quod nunc tibi damus, Politica esse vides. In quibus hoc nobis consilium, ut quemadmodum<br />

in Constantia cives formavimus ad patiendum et parendum, ita hic eos, qui imperant,<br />

ad regendum. 31<br />

Beide Werke wurden ein europäischer Erfolg, wie zahlreiche Drucke bezeugen:<br />

Man hat 48 Auflagen der Constantia und 53 der Politica gezählt. 32 Hinzu kommen<br />

Übersetzungen beider Werke in niederländischer, französischer, englischer,<br />

deutscher, spanischer, italienischer und polnischer Sprache. Der Zeitraum der intensivsten<br />

Rezeption beider Schriften reicht von 1590 bis 1640, doch gehörten sie<br />

noch bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts zum festen Kanon politischer und moralistischer<br />

Literatur. Als Lipsius 1605 am Ende seiner wissenschaftlichen und philosophischen<br />

Karriere seine Seneca-Edition abschloss, hatte er sein ins Philosophische<br />

gewandeltes philologisches Ziel erreicht.<br />

Als 1637 in Antwerpen eine Gesamtausgabe des führenden Neustoikers erschien,<br />

inszenierte Cornelis Galle die Summe des editorischen und philosophischen<br />

Werks von Justus Lipsius in einem Titelkupferstich 33 : Seneca und Tacitus<br />

flankieren <strong>als</strong> Hermen den Triumphbogen, unter dem der Titel erscheint. [Abb. 1]<br />

Über dem Schluss-Stein des Bogens erscheint in einem Lorbeerkranz das Brustbild<br />

des Lipsius mit seinem Lebensmotto moribus<br />

antiquis. Vor der Herme des Seneca sitzt, gerüstet<br />

mit Helm und Schwert, die Allegorie der Virtus,<br />

assistiert von der hinter ihr stehenden Minerva.<br />

Auf der Seite des Tacitus sitzt eine Allegorie der<br />

doppelgesichtigen Prudentia, die in der rechten<br />

Hand eine Schlange hält, während sie die linke<br />

auf das Glücksrad stützt. Hinter ihr steht Merkur.<br />

Über allem thronen die Personifikationen der<br />

Philosophie und der Politik. <strong>Die</strong> <strong>als</strong> alte Frau dargestellte<br />

Philosophie ist mit Löwenfell und Herakles-Keule<br />

ausgestattet und hält die einflussreichsten<br />

Werke des Lipsius unter dem Arm: Stoica<br />

und Constantia. <strong>Die</strong> Personifikation der Staatskunst<br />

(Politica) ist <strong>als</strong> jüngere Frau mit Speer,<br />

Ruder und Erdkugel dargestellt. So erfasst der<br />

Titelkupferstich den ganzen Spannungsbogen der<br />

produktiven Rezeption der antiken Stoa durch<br />

Abb. 1<br />

Justus Lipsius: sie hat einerseits (unter frühneuzeitlichen Bedingungen) den Einzelnen<br />

und seine Seelenruhe im Auge und bedenkt andererseits das Zusammenleben<br />

im entstehenden modernen Staat so, dass dem Individuum Spielräume gewährt<br />

werden.<br />

28 Libri duo qui alloquium praecipue continent in publicis malis<br />

29 Monita et exempla politica, Opera omnia, a.a.O., Bd. 4,1, S. 2.<br />

30 Lipsius: Politica, Opera omnia, a.a.O., Bd. 4,1, S. 125f.<br />

31 ›Wir legen jetzt, wie man sieht, eine Abhandlung über Regierungskunst (Politica) vor. Wenn es uns in der<br />

Schrift über Standhaftigkeit (Constantia) darum ging, Bürger zu Geduld und Gehorsam anzuleiten, geht es uns<br />

hier darum, Fürsten in der Regierungskunst zu unterweisen.‹<br />

32 Oestreich, a.a.O., S. 213-218.<br />

33 Vgl. Morford, Mark: Stoics and Neostoics, Rubens and the Circle of Lipsius, Princeton 1991, Abbildung 17.<br />

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