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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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IX Von der vertu zum Affekt<br />

Couperus 6 beschriebenen, illuminierten lebenden Bildern: Kleopatra repräsentiert<br />

jetzt den im Orientalismus des 19. Jahrhunderts gängigen Bildtypus einer femme<br />

fatale. Vergleichbares gilt für die Oper, die zunächst ebenfalls den Konflikt von<br />

Normen und Affekten aus der frühneuzeitlichen Tragödie übernommen hatte. Auch<br />

in ihrer Inszenierung der ›starken Frauen‹ verschwindet langsam der neustoische<br />

Hintergrund zugunsten der Affektkonturierung. Besonders evident ist dies in den<br />

Kammerkantaten.<br />

Das Monodrama führt zu einer weiteren Affektüberzeichnung, manchmal ge-<br />

radezu zu einer Affektkonfusion. In der Attitüdenkunst dienen historische Reminis-<br />

zenzen zur sukzessiven Darstellung von Gefühlskontrasten; manche dieser Insze-<br />

nierungen von Sophonisbe, Kleopatra und Dido stehen schon an der Schwelle zum<br />

Varieté.<br />

<strong>Die</strong> Anfänge der Oper<br />

<strong>Die</strong> im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts in Italien ausgebildete Oper 7 blieb<br />

dem Sprechdrama und seinen Themen eng verbunden, auch wenn sich die Handlungsstruktur<br />

im Musiktheater tiefgreifend veränderte. <strong>Die</strong> neustoischen Tugendhelden<br />

und ihre Konflikte, die im Theaterrepertoire des 16. Jahrhunderts eine herausragende<br />

Rolle spielten, wurden in der neuen musikdramatischen Gattung allerdings<br />

nicht sogleich übernommen; die erste Librettisten und Komponisten griffen<br />

fast ausschließlich mythologische Themen auf. Als Vorwürfe erfreuten sich<br />

Orpheus und Eurydike sowie die Befreiung der Ariadne besonderer Beliebtheit. 8<br />

Rezitative übernahmen die Aufgabe, die Dramenhandlung voranzutreiben, während<br />

Arien den Protagonisten Gelegenheit boten, ihre inneren Konflikte ausführlich zum<br />

musikalischen Ausdruck zu bringen. Bereits der späte Claudio Monteverdi 9 erweiterte<br />

aber das Repertoire und brachte 1642 mit seiner Incoronazione di Poppea einen<br />

historischen Stoff auf die Opernbühne. Damit erhob er das Musiktheater zu einer<br />

dem Drama ebenbürtigen Gattung, die nicht nur der gehobenen Unterhaltung<br />

diente, sondern sich auch am moralischen Diskurs beteiligte, den die neustoisch<br />

geprägte Bühne entwickelt hatte. Gleichwohl blieb für jede Opernhandlung der lieto<br />

fine 10 noch lange Zeit verbindlich und stellte die Librettisten vor die schwierige Aufgabe,<br />

historischen Vorwürfen ein glückliches Ende aufzwingen zu müssen. Auch<br />

waren italienische Opernhäuser – das erste wurde 1637 in Venedig eröffnet – von<br />

6<br />

Vgl. oben, S. 12ff.<br />

7 1<br />

Abert, Anna Amalie: Oper, in: MGG 10, München 1989, 1ff.<br />

8<br />

Zu den Themen der frühen Opern vgl. Koch, Klaus-<strong>Die</strong>trich: <strong>Die</strong> Aeneis <strong>als</strong> Opernsujet, Dramaturgische<br />

Wandlungen vom Frühbarock bis zu Berlioz, Konstanz 1990, S. 86-89.<br />

9<br />

Gier, Albert: Das Libretto, Theorie und Geschichte einer musikoliterarischen Gattung, Darmstadt 1998, besonders<br />

S. 41-55.<br />

10<br />

Der Begriff wurde wahrscheinlich vom Librettisten Giacinto Cicognini in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts<br />

geprägt (vgl. Seeger, Horst: Opernlexikon, Berlin 4 1988, S. 384). Der Konvention des lieto fine folgend<br />

ließ noch 1805 Ferdinando Paer seine Sofonisba durch einen zweifelhaften Kunstgriff glücklich enden: Sophonisbe<br />

trinkt statt des Giftes eine ungefährliche Substanz und wird von Scipio begnadigt, den ihr Mut beeindruckt.<br />

Das zeitgenössische Publikum empfand diesen Ausgang der Handlung allerdings bereits <strong>als</strong> künstlich<br />

(vgl. Brzoska, Matthias: »Paer: Sofonisba«, in: Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, München 1991, Bd. 4,<br />

S. 626-627).<br />

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