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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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IV Liebe, Patriotismus und Selbstbestimmung: Sophonisbe <strong>als</strong> <strong>Tugendheldin</strong><br />

Gottlob Neefes Vertonung (1778) des Monodramas von <strong>August</strong> Gottlieb Meißner zu<br />

erwähnen.<br />

Erst 1762 wagte es Tommaso T r a e t t a (1727-1779), Sophonisbes Selbstmord auf<br />

die Opernbühne zu bringen, obwohl dies noch immer <strong>als</strong> regelwidrig galt. Traetta 92<br />

schockierte sein Mannheimer Hofpublikum nicht nur durch die Todesszene auf der<br />

Bühne (morte in scena), sondern verweigerte der Protagonistin auch die obligate<br />

Abgangsarie. 93<br />

Sophonisba haucht ihre letzten Worte <strong>als</strong> Accompagnato-Rezitativ in einer musikalischen<br />

Aposiopesis ohne formalen Schluss aus. Mit der Einführung eines Sohns<br />

der Sophonisbe steigerte Traetta ganz in der von Trissino begründeten theatralischen<br />

Tradition den sentimentalen Aspekt der Handlung. 94 Das Kind versteht den<br />

Abschied der Mutter nicht (III,ix 1 : »Madre, che faci mai? Lungi da te mi scacci. In<br />

che ti offesi? Ecco, se reo pur sono, ecco mi a piedi tuoi, madre perdoni.«) und hält<br />

sie in einem verzweifelten Arioso fest (III,ix 2 : »Se non mi stringi al seno, / Lascia,<br />

che un baccio al meno / Molle di pianto il ciglio / sulla tua destra, o madre, imprima<br />

il figlio.«). Der Konflikt von Politik und Liebe wird akzentuiert, wenn Sophonisbe,<br />

das von Massinissa gesandte Gift in Händen, aus dem Palastfenster römische Soldaten<br />

Gefangene auf Schiffe verladen sieht (»Invano m’attendete, o superbi«). Der<br />

Antagonismus findet in der Verbindung martialischer Marschmusik der römischen<br />

Legionäre und Sophonisbes von Todeserwartung geprägter Arie musikalischen<br />

Ausdruck. Zu spät überbringen Massinissa, Syphax, Scipio und Laelius die Begnadigung<br />

durch den römischen Senat; die Szene mündet in einem Quintett (III, xi 1 :<br />

»Ma piangete«) und der abschließenden Klage des Chors (III, xi 2 : »Ah, d’Aletto – il<br />

core à in petto / Chi qui resta a ciglio asciutto! / A il furore in seno à tutto / Di Tisifonie,<br />

e Megèra / Chi resistere qui può!«).<br />

Noch 1805 trug Ferdinando P a e r 95 in seiner zur Eröffnung des Teatro del Corso<br />

in Bologna komponierten Sofonisba der Forderung nach einem lieto fine Rech-<br />

nung. In seinem »dramma serio per musica« lässt er eine <strong>Die</strong>nerin das für Sofo-<br />

nisba bestimmte Gift austauschen und fügt darüber hinaus einen Selbstmordver-<br />

such Massinissas hinzu, der ebenso vergeblich bleibt.<br />

Das Libretto in zwei Akten von Domenico Rossetti ist schon deshalb bemerkenswert,<br />

weil es den tragischen Konflikt des Stoffes moralisierend und geradezu biedermeierlich<br />

auflöst. Es darf deshalb <strong>als</strong> Dokument dafür gelten, dass sich dem<br />

Stoff keine neue Sinnkonfiguration mehr abgewinnen ließ. Im ersten Akt ist Sofonisba<br />

bereit, Massinissa zu heiraten, um ihn auf die karthagische Seite zu ziehen.<br />

92 <strong>Die</strong> Schreibweisen variieren: Traetta, Traëtta und Trajetta.<br />

93 Vgl. Riedlbauer, Jörg: <strong>Die</strong> Opern von Tommaso Trajetta, Hildesheim/Zürich/New York 1994, S. 180-185 und<br />

Horschansky, Klaus: »Tommaso Traetta: Sofonisba«, in: Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, Bd. 6, hrsg.<br />

von Dahlhaus, Carl, München 1997, 315-318. <strong>Die</strong> Oper wurde 2006 vom Nationaltheater Mannheim wieder<br />

aufgeführt. Das Programmheft reproduziert die deutsche Übersetzung des Textbuches von 1762 und Einzelpassagen<br />

des italienischen Originaltextes.<br />

94 Dem Opernbegleitheft ist zu entnehmen, dass die Aufführung im Jahre 1762 den Sohn noch <strong>als</strong> stumme<br />

Figur führte; zur Wiederaufführung ein Jahr später wurde der Sohn mit zwei Arien und einem Rezitativ ausgestattet,<br />

um einen neuen Anreiz zum erneuten Besuch des Opernhauses zu bieten (Opernbegleitheft der Mannheimer<br />

Aufführung 2006, S. 59).<br />

95 Vgl. Brzoska, Matthias: »Ferdinando Paer: Sofonisba, Dramma serio per musica«, in: Pipers Enzyklopädie<br />

des Musiktheaters, Bd. 4, hrsg. von Dahlhaus, Carl, München 1991, 626f.<br />

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