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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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VII Posttridentinische Märtyrer und stoische Tugendhelden<br />

(professori) <strong>als</strong> exemplarisch auch für die Gegenwart interpretieren ließen. 92 Im<br />

Zusammenhang einer seiner Großaufträge für die norditalienische Aristokratie 93<br />

gestaltete Giovanni Battista Tiepolo auch den exemplarischen Tod einer profanen<br />

<strong>Tugendheldin</strong>. Im Mittelpunkt der 1731 für den conte Casati 94 begonnenen Freskie-<br />

rung und Dekoration der großen sala im Mailänder Palazzo Dugnani 95 steht Scipio<br />

Africanus 96 , dessen magnanimitas das Fresko des zentralen Deckenplafonds ver-<br />

herrlicht.<br />

Zwei große Historienfresken veranschaulichen an den Wänden die virtus<br />

des römischen Feldherrn: <strong>Die</strong> Selbstbeherrschung des Scipio und Scipio und die<br />

Freilassung des Sklaven. <strong>Die</strong>se bekannten und häufig ins Bild gesetzten Episoden<br />

aus dem Zweiten Punischen Krieg zeigen Scipio, wie er die ihm <strong>als</strong> Sieger zuste-<br />

hende junge Frau ihrem Verlobten zurückgibt und einen Sklaven frei lässt, Szenen,<br />

die die continentia und die clementia des römischen Feldherrn illustrieren.<br />

Ganz pictor doctus nahm Tiepolo im dritten Fresko [Abb. 11] auch den<br />

Selbstmord der Sophonisbe 97 in das Programm auf, obwohl das Thema für den<br />

heutigen Betrachter auf den ersten Blick nicht in das Gesamtprogramm des Zyklus<br />

passt, zumal Scipio nicht selbst auftritt. Erst der Rekurs auf Livius oder das früh-<br />

92 »Quindi è che la mente del Pittore deve sempre tendere al Sublime, all’Eroico, alla Perfezione.« Zitiert nach<br />

Haskell, Francis: Maler und Auftraggeber, a.a.O., S. 360. Es folgt: »Aggiunse che li Pittori devono procurare di<br />

riuscire nelle opere grandi, cioè in quelle che possono piacere alli Signori Nobili, e ricchi, perchè questi fanno<br />

l a f o r t u n a d e ’ P r o f e s s o r i , e non già l’altra gente, la quale non può comprare Quadri di molto valore.«<br />

93 Neben kirchlichen Auftraggebern arbeitete Tiepolo auch für private, meist aristokratische Abnehmer. Vor<br />

allem das venezianische Patriziat versuchte seine meist noch kurze Familientradition durch ostentative Kunstförderung<br />

wettzumachen und ließ seine den neu erworbenen Reichtum demonstrativ zur Schau stellenden<br />

Landvillen und Stadtpaläste üppig ausmalen (vgl. Haskell, Francis: Maler und Auftraggeber, Kunst und Gesellschaft<br />

im italienischen Barock, Köln 1996 [englisch 1 1980], S. 361). <strong>Die</strong> Dekorationsprogramme greifen meist<br />

auf die griechisch-römische Mythologie und Geschichte zurück. Mit einem Scipio-Zyklus in der Villa Cordellina<br />

(Montecchio Maggiore), einem Kleopatra-Zyklus im Palazzo Labia (Venedig) und einem allegorischen Zyklus<br />

im Palazzo Rezzonico (Venedig) (Pallucchini, Anna / Le Foll, Joséphine, a.a.O., S. 108, 113, 127) erfüllte Tiepoloden<br />

Wunsch seiner Auftraggeber, ihre Familiengeschichte mit der Antike zu verbinden (vgl. Haskell,<br />

a.a.O., S. 350ff.).<br />

94 Gemin, Massimo / Pedrocco, Filippo: Giambattista Tiepolo, Leben und Werk, München 1995, S. 224. Giuseppe<br />

Casati, der seinen Adelstitel erst seit kurzem führte, hatte den Palast ein Jahr zuvor gekauft und Tiepolo<br />

den Auftrag zur Ausschmückung erteilt.<br />

95 Abbildungen in Pallucchini / Le Foll, a.a.O., S. 95.<br />

96 Wie nochm<strong>als</strong> 1743, <strong>als</strong> er die Villa Cordellina ausmalte.<br />

97 Katalog 390. Ausführlicher zu diesem Fresko oben, S. 95ff.– Abbildungen in: Pallucchini / Le Foll, a.a.O., S.<br />

95 (»<strong>Die</strong> continentia des Scipio« 520 x 650; »Scipio und der Sklave« 520 x 450 und »Sophonisbe nimmt aus<br />

der Hand des Massinissa den Giftbecher« 520 x 650). <strong>Die</strong> in der Literatur eingeführte Bezeichnung des dritten<br />

Freskos ist unzutreffend, da trotz der teilweisen Zerstörung des Freskos im Zweiten Weltkrieg deutlich zu erkennen<br />

ist, dass Sophonisbe in ihrer rechten Hand einen Brief hält. Es handelt sich um die Botschaft Massinissas,<br />

die ein Bote zusammen mit dem Gift überbringt. <strong>Die</strong> in der rechten Hälfte des Freskos erscheinende Figur<br />

in römischer Kleidung ist <strong>als</strong>o nicht Massinissa, sondern sein Bote. <strong>Die</strong> f<strong>als</strong>che Bezeichnung findet sich auch<br />

bei Gemin, Massimo / Pedrocco, Filippo: Giambattista Tiepolo, Leben und Werk, München 1995, S. 224.<br />

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