Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...
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VIII Tema con variazioni – Bildprogramme<br />
die Quellen und die Kunstliteratur gehen nur selten auf vom Künstler, vom Auftrag-<br />
geber oder vom Sammler konzipierte Pendants ein.<br />
Sieht man von zwei Bildbeschreibungen Carel van Manders in seinem Schilder-<br />
Boeck (1604) ab, die sich mit Gegenstücken von Cornelis Ketel und von Hans Holbein<br />
d. J. befassen, finden Pendant-Hängungen leider in schriftlichen Zeugnissen<br />
des 17. Jahrhunderts keine Erwähnung. 157 Um so bemerkenswerter ist es, dass Gerard<br />
de Lairesse in seinem Groot Schilderboek (1707) auf Konzeption und Hängung<br />
von Pendants nur im Zusammenhang mit der Landschaftsmalerei zu sprechen<br />
kommt, obwohl die Historienmalerei im Mittelpunkt seiner Erörterungen steht. 158 Seine<br />
Überlegungen bleiben allerdings formal: So erörtert der klassizistische Theoretiker<br />
die Lichtverhältnisse in Landschaftsbildern und ihr wünschenswertes Verhältnis<br />
zur Architektur und zu den realen Lichtverhältnissen im für sie bestimmten Raum (de<br />
waare zon). 159 Erst in diesem Zusammenhang kommt Lairesse – immer in Bezug auf<br />
die Landschaftsmalerei – auf Pendants (wedergaas) zu sprechen. Dabei legt er weniger<br />
Wert auf Übereinstimmung von Thema (begrip) und Bildaufbau (schikking) <strong>als</strong><br />
auf Variationen bei gleicher Rahmung und Perspektive. 160 Gerade formale und in-<br />
schen Malerei des 17. Jahrhunderts, Frankfurt / Bern / New York 1987, für einen eingegrenzten Bereich mit<br />
dem Thema näher beschäftigt. – Minges, Klaus: Das Sammlungswesen in der Frühen Neuzeit, Kriterien der<br />
Ordnung und Spezialisierung, Münster 1998, trägt zur ursprünglichen Hängung in einzelnen Sammlungen und<br />
Galerien leider nichts Erhellendes bei. Er unterscheidet »hierarchische« und »dekorative« Prinzipien beim<br />
Aufbau von Gemäldesammlungen. Das »hierarchische« Prinzip bei der Hängung der Gemälde folgte »akademischen«<br />
Kriterien und unterschied nach Schulen und Gattungen, trug <strong>als</strong>o eher dem Connaisseur Rechnung;<br />
das »dekorative« Prinzip hob auf die in der »Bildertapete« gipfelnde, monumentale Gesamtwirkung einer<br />
Sammlung ab. Der Sensualismus des 17. und besonders des 18. Jahrhunderts förderte die Tendenz zum<br />
ästhetischen Gesamteindruck, der allerdings im Detail sehr wohl auf fortlaufende Kontraste (und damit auch<br />
den dauernden Vergleich) abhob. Minges geht auf Pendants nicht ein.<br />
157 Vgl. Mander, Carel van: Das Leben der niederländischen und deutschen Maler (von 1400 bis ca. 1615),<br />
hrsg. von Hanns Floerke, München / Leipzig 1906 (ND Worms 1991), S. 304-322 und S. 105-117. Als Gegenstücke<br />
bei Cornelis Ketel werden Demokrit und Heraklit genannt, von denen es wohl mehrere Versionen gab.<br />
(Zur Problematik der Textüberlieferung und seiner unterschiedlichen Deutung Moiso-<strong>Die</strong>kamp, a.a.O., S. 356f.)<br />
Bei Hans Holbein werden Gegenstücke mit dem Triumph der Armut und des Reichtums beschrieben.<br />
158 Als Lairesse 1690 seine Karriere <strong>als</strong> Maler und Stecher wegen Erblindung beenden musste, fasste er in<br />
öffentlichen Vorträgen, die später von seinem Sohn Abraham in den Kompendien Grondlegginge der Teekenkunst<br />
(1701) und Het groot Schilderboek (1707) veröffentlicht wurden, seine klassizistische Ästhetik zusammen.<br />
159 »Een goed Konstenaar moet zich voorzichtig gedraagen in het schikken en verkiezen van zyn werk,<br />
zorgvuldiglyk acht geevende op de eigenschap der plaats, op dat zyne konst de bouwkunde niet ontbinde,<br />
maar veel eêr versterke; maakende de Landschappen, die men natuurlyk will verbeelden, hoe zy verder van<br />
het waare licht, dat in de kamer valt, zyn, zo veel helderder <strong>als</strong> die naby het zelve zyn: want anders doende,<br />
zou het maar een schildery vertoonen.« (Lairesse, Gerard de: Groot schilderboek, Haarlem 2 1740 [ND Davaco<br />
Publishers, Dornspyck 1969], S. 363) (»Ein guter Künstler muß sich bey Einrichtung und Erwählung seines<br />
Werckes vorsichtig aufführen / daß er sorgfältig auf die Beschaffenheit des Ortes Achtung gebe, damit seine<br />
Kunst die Architectur nicht schwäche, sondern viel eher befestige, und die Landschafften, wenn man sie natürlich<br />
vorstellen will, je weiter sie von dem in dem Zimmer einfallenden wahren Licht entfernet, um so viel heller<br />
mache, <strong>als</strong> die demselben nahe seynd. Verfährt man anderst, so wird es nur eine Mahlerey vorstellen.«) (Des<br />
Herrn Gerhard de Lairesse, Welt=belobten Kunst=Mahlers / Grossen Mahler=Buchs, Aus dem Holländischen<br />
in das Hoch=Teutsche übersetzt. Nürnberg, Im Verlage Joh. Christoph Weigel, Kunst Händlers, seel. Wittib,<br />
gedruckt bey Lorenz Bieling, 1729, Ersten Theils II Continuation, S. 122ff.)<br />
160 »Myn gevoelen is, dat dit voorige meest uit eigenzinnigheid van den Konstenaar voortkomt; en dat er niets<br />
meer in een Wedergaa word vereischt, <strong>als</strong> een evengeleyk oogpunt en gelykvormigheid der beelden, wanneer<br />
ze op een gelyke hoogte hangen moeten: maar die het overige daar by will gevoegd hebben, zoekt het vyfde<br />
rad aan een wagen. Want waarom zoude ik myn vermaak niet mogen hebben, na myne lust in het<br />
beschouwen van een naare wildernis te hebben geboet, zulks ook te doen in het zien van een aangenaame<br />
vlakte, of in het verschil van een Landschap met bosch in tegenstelling van een zoete rivierkant en een<br />
vermaakelyke doorzicht?«( (a.a.O., S. 363f.) (»Meine Meinung ist / daß erstgemeldetes meistens von dem<br />
Eigensinne der Künstler herkömmet, und daß bey einem Compagnon weiter nichts erfodert wird, <strong>als</strong> ein eben<br />
solcher Aug=Punct und eine Gleichförmigkeit der Bilder, so ferne sie in einer gleichen Höhe hängen müssen;<br />
wer aber das üperige will hinzugethan haben, der suchet das fünffte Rad an einem Wagen. Denn warum würde<br />
ich meine Ergötzung nicht haben mögen / nachdem ich meine Lust in Beschauung einer furchtsamen Wildniß<br />
gebüsset, wenn ich solches auch in Besehung einer angenehmen Ebene, oder an dem Unterscheid einer<br />
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