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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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II Sterbebildtypen und Todesdarstellung<br />

8 Der Kreuzestod: Vom Triumph zur compassio<br />

Obwohl der Kreuzestod Jesu <strong>als</strong> Erfüllung prophetischer Voraussagen und Beweis<br />

der Menschwerdung des Erlösers im Zentrum der christlichen Religion steht, wird<br />

die Erwartung, diese zentrale Aussage des Christentums müsse auch zu einem<br />

wichtigen Thema der christlichen Ikonographie geworden sein, zunächst ent-<br />

täuscht, denn in den ersten Jahrhunderten wurde der Kreuzestod Christi durchaus<br />

nicht veranschaulicht. Erste, noch ganz hieratische Zeugnisse 35 finden sich im 5.<br />

Jahrhundert: Christus ist mit offenen Augen, erhobenen Hauptes, ohne Ausdruck<br />

von Schmerzen ans Kreuz genagelt, wie dies etwa auf der Holztür der römischen<br />

Kirche Santa Sabina zu sehen ist [Abb. 18]. Solche Darstellungen betonen die Gött-<br />

lichkeit des Erlösers, auch wenn gelegentlich der Schä-<br />

cher, Maria und Johannes hinzutreten. Wenn man von<br />

der durch ikonoklastische Phasen gestörten byzantini-<br />

schen Entwicklung absieht, wird der Kreuzestod im frü-<br />

hen Mittelalter stets <strong>als</strong> triumphaler Opfertod ausge-<br />

legt.<br />

Abb. 18<br />

Das Gero-Kruzifix 36 , das den Gekreuzigten <strong>als</strong> bereits verstorben, mit ge-<br />

schlossenen Augen und in sich zusammengesunken präsentiert [Abb. 19], und das<br />

Lotharkreuz 37 aus dem Domschatz in Aachen sind hingegen erste Belege für theo-<br />

logische und lehramtliche Kontroversen, die zunehmend das<br />

Menschsein Christi und die compassio der Gläubigen in den Vor-<br />

dergrund rückten. <strong>Die</strong>se Entwicklung, die eine ganz eigene Chri-<br />

stusfrömmigkeit ausbildete und den Gekreuzigten ins Zentrum stell-<br />

te, ist in den Predigten Bernhards von Clairvaux und in den Texten<br />

Abb. 19<br />

des Franciscus von Assisi theologisch ausformuliert. Der duldende, leidende oder<br />

gestorbene Christus wird so seit 1300 bevorzugter Gegenstand der Mystik; An-<br />

dachtsbilder und Mystikerkruzifixe verhelfen dem Gläubigen in Meditation und Kon-<br />

templation durch die Darstellung naturalistisch gesteigerten Leidens zum emotio-<br />

nalen Dialog und zur betrachtenden Anteilnahme am Leiden Christi. Ein expressi-<br />

ves Exempel, das die Funktionalisierung für diese besondere Form religiösen Erle-<br />

35 Abbildung des Elfenbeinkästchens (um 420 n. Chr.), das die Kreuzigung Christi und den Selbstmord des<br />

Judas zeigt (British Museum, London), ist zu finden im Aufsatz Paces, a.a.O., S. 337, <strong>als</strong> Abb. 1.<br />

36 Um 970 n. Chr.<br />

37 Ebenfalls 10. Jahrhundert, Abb. im Aufsatz Paces, a.a.O., S. 342.<br />

39

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