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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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IX Von der vertu zum Affekt<br />

wagte, sondern einen lieto fine konstruierte, der den Selbstmord Didos durch eine<br />

Heirat ersetzte. 30<br />

Erst Pietro M e t a s t a s i o (1698-1782) scheint, wohl unter dem Einfluss des<br />

klassizistischen französischen Theaters, auch auf der Opernbühne das tragische<br />

Ende zugelassen zu haben. Das Dido-Libretto war sein erfolgreichstes Bühnen-<br />

werk; von Domenico Sarro 31 1724 vertont, wurde das Libretto sogleich von Leo-<br />

nardo Vinci (1726), danach von weit über sechzig Komponisten aufgegriffen, die<br />

bis ins 19. Jahrhundert im Text Metastasios eine Erfolg versprechende Vorlage<br />

fanden. 32 In seiner Didone abbandonata wagte es Metastasio nicht nur <strong>als</strong> erster,<br />

in der ultima scena der Oper das tragische Ende der Dido beizubehalten, sondern<br />

ließ die Königin sogar – ein weiterer Tabubruch – auf der Bühne sterben.<br />

Auch in den späteren Libretti 33 Metastasios, Catone in Utica (1727) und Attilio Regolo<br />

(1750), sterben die Titelhelden am Ende. Dass ein tragischer Schlussakt für<br />

die Seh- und Hörgewohnheiten der zeitgenössischen Zuschauer ungewohnt und<br />

anstößig war, zeigen mehrere Umarbeitungen der letzten Szenen dieser drei Libretti:<br />

Für eine Aufführung der Didone abbandonata in Madrid fügte Metastasio 1751<br />

dem Libretto von 1724 eine licenza an, die mit dem Auftreten Neptuns 34 den<br />

Selbstmord Didos entschärft und in einen mythologischen Zusammenhang einordnet.<br />

Der letzte Eindruck des Opernbesuchers ist nun nicht mehr der Flammentod<br />

30 <strong>Die</strong> Oper wurde 1998 mit Thomas Hengelbrock <strong>als</strong> Dirigenten, dem Balthasar-Neumann-Ensemble und<br />

Yvonne Kenny in der Titelrolle wieder aufgeführt (Deutsche Harmonia Mundi 05472 77354 2). Allerdings hat<br />

der lieto fine Thomas Hengelbrock so sehr gestört, dass er ihn dem Publikum seiner Neuinszenierung der<br />

Barockoper nicht zumuten wollte: »Für eine Auslassung allerdings müssen wir des geneigten Hörers Nachsicht<br />

erbitten: Selten hat uns ein ›lieto fine‹ in einer Barockoper gestört, weil wir stets in ihr die Welt im Spiel aufgehoben<br />

sahen. Wenn aber in dieser bestürzenden Tragödie, deren Wirren Aeneas die Menschlichkeit, Jarbas<br />

den Verstand und Didone fast das Leben gekostet haben, schlussendlich – und wirklich wie aus heiterem (?!)<br />

Himmel – eine Hochzeit zwischen Jarbas und Didone anberaumt wird, wollen wir zu selbiger diesmal nicht<br />

aufspielen.« (Booklet, S. 18) Galt Busenello und Cavalli das tragische Ende Didos <strong>als</strong> anstößig, provoziert<br />

nunmehr der lieto fine den modernen Regisseur.<br />

31 Domenico Natale Sarro (1679-1744) wird in der Literatur auch häufig <strong>als</strong> »Sarri« geführt. Seine Dido-Oper<br />

wurde am 5. Februar 1724 im Teatro San Bartolomeo in Neapel uraufgeführt.<br />

32 Domenico Sarro (1724), Domenico Scarlatti (1724), Tomaso Albinoni (1725), Leonardo Vinci (1726), Geminiano<br />

Giacomelli (1728), Gaetano Maria Schiassi (1735), <strong>Georg</strong> Friedrich Händel (1736), Giuseppe Ferdinando<br />

Brivio (1739), Giovan Battista Lampugnani (1739), Andrea Bernasconi (1739), Egidio Romualdo Duni<br />

(1740), Baldassare Galuppi (1741), Rinaldo da Capua (1741), Nicola Porpora (1741), Johann Adolf Hasse<br />

(1742), Antonio Caputi (1745), Nicola Jomelli (1747), Andrea Aldofati (1747), Paolo Scalabrini (1747), Ferdinando<br />

Bertoni (1748), Domenico Terradellas (1750), Gennaro Manna (1751), Ignazio Fiorillo (1751), Davide<br />

Perez (1751), Antonio Mazzoni (1752), Giuseppe Bonno (1752), Giuseppe Scolari (1752), Vincenzo Legrenzio<br />

Ciampi (1754), Giovanni Andrea Fioroni (1755), Pietro Chiarini (1756), Andrea Bernasconi (1756), Tomaso<br />

Traetta (1757), Francesco Araia (1758), Antonio Ferradini (1760), Giuseppe Sarti (1762), Johann Gottfried<br />

Schwanberg (1765), Francesco Zanetti (1766), Gianfrancesco De Maio (1769), Antonio Sacchini (1769), Ignazio<br />

Coloniat (1769), Nicola Piccinni (1770), Giacomo Insanguine (1770), Michele Mortellari (1771), Giuseppe<br />

Colla (1773), Domenico Mombelli (1775), Pasquale Anfossi (1775), Giuseppe Schuster (1776), Bernardino<br />

Ottani (1780), Francesco Piticchio (1780), Alessio Prati (1783), Gaetano Andreozzi (1784), Giuseppe Antonio<br />

Capuzzi (1786), Pietro Alessandro Guglielmi (1786), Giuseppe Gazzaniga (1787), Luigi Cherubini (1787),<br />

Vincenzo Federici (1794), Giovanni Paisiello (1794), Leopold Koželuh (1795), Settimio Marino (1799), Valentino<br />

Fioravanti (1810), Ferdinando Paer (1811), Karl Reissiger (1823), Bernhard Klein (1823), Saverio Mercadante<br />

(1823).<br />

33 Vgl. Gerhard, Anselm: »Rollenhierarchie und dramaturgische Hierarchien in der italienischen Oper« in<br />

Opernheld und Opernheldin im 18. Jahrhundert, hrsg. von Klaus Hortschansky, Hamburg / Eisenach 1991, S.<br />

35-55 (hier S. 40).<br />

34 Vgl. Koch, Klaus-<strong>Die</strong>trich: <strong>Die</strong> Aeneis <strong>als</strong> Opernsujet, Dramaturgische Wandlungen vom Frühbarock bis zu<br />

Berlioz, Konstanz 1990, S. 42-43.<br />

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