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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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IX Von der vertu zum Affekt<br />

Anfang an <strong>als</strong> sich selbst tragende Einrichtungen organisiert und mussten in hohem<br />

Maß dem Publikumsgeschmack folgen. 11<br />

<strong>Die</strong> italienische Oper 12 erweiterte früh ihre Themenpalette und verzichtete allmählich<br />

auch auf das happy end. Sollte die Norm der Wahrscheinlichkeit beachtet werden,<br />

ließ sich den historischen Stoffen nicht immer eine glückliche Wendung geben,<br />

zumal einem Teil des Publikums der ›richtige‹ Ausgang vertraut war. Auch wenn<br />

die neuere Opernforschung vor allem die unterschiedlichen Wirkungsstrategien von<br />

Theater und Oper 13 hervorhebt, gilt doch für das Musiktheater der Frühen Neuzeit<br />

ebenso wie für das Sprechtheater, dass der »Konflikt zwischen Liebe und Politik<br />

(oder Ehre)« 14 der handlungsmotivierende Antagonismus bleibt: nicht die äußere<br />

Handlung, sondern der innere Konflikt fesselte Zuschauer und Zuhörer. Pietro Metastasio<br />

bezeichnete den »contrasto di questi due universali principii delle operazioni<br />

umane, passione e raziocinio« <strong>als</strong> Fundament jeder Oper. 15 In den theoretischen<br />

Diskursen wurden die dramaturgischen Verfahren bereits im 17. Jahrhundert<br />

unabhängig davon erörtert, ob vom Musik- oder vom Sprechtheater die Rede ist.<br />

2 <strong>Tugendheldin</strong>nen in der Oper<br />

Neben den üblichen griechischen und römischen Heroen eroberten auch Dido,<br />

Sophonisbe, Kleopatra und Lukretia rasch die opera seria und wurden zum Vor-<br />

wurf vieler Libretti. 16 Obwohl einschlägige Untersuchungen fehlen und ein gesi-<br />

cherter Überblick deshalb derzeit noch nicht zu erreichen ist, zeigen dies die be-<br />

reits verfügbaren Aufführungsstatistiken. 17 Didos Liebesgeschichte war 1641 das<br />

Thema der ersten, vom Publikum offensichtlich begeistert gefeierten veneziani-<br />

schen Oper; über hundert Opern griffen den Stoff in der Folge auf. 18 Den zweiten<br />

Rang in der Beliebtheitsskala erreichte Kleopatra mit mehr <strong>als</strong> vierzig Opernbear-<br />

beitungen. Aber auch Sophonisbe übte auf Librettisten und Komponisten noch<br />

großen Reiz aus und erscheint in mindestens zwanzig musikalischen Versionen.<br />

Demgegenüber konnte das Thema der bedrohten Keuschheit das auf ›Liebe und<br />

Politik‹ programmierte Opernpublikum zunächst nicht faszinieren und reichte für<br />

11<br />

Im Gegensatz zu den italienischen Opernbühnen entwickelte sich die französische tragédie lyrique vorwiegend<br />

unter dem Einfluss des Hofes. Das höfisch-aristokratische Publikum in Versailles bevorzugte lange Zeit<br />

mythologische Themen und die Pastorale. Ebenso trugen die in Frankreich fast obligatorischen Balletteinlagen<br />

dem Hofgeschmack Rechnung.<br />

12<br />

Hierzu Gerhard, Anselm: »Rollenhierarchie und dramaturgische Hierarchien in der italienischen Oper des<br />

18. Jahrhunderts«, in: Hortschansky, Klaus (Hrsg.): Opernheld und Opernheldin im 18. Jahrhundert, Aspekte<br />

der Librettoforschung, Ein Tagungsbericht, Hamburg 1991, S. 35-55.<br />

13<br />

Dahlhaus, Carl: »Dramaturgie der italienischen Oper«, in: Geschichte der italienschen Oper, Bd. 6, Regensburg<br />

1992, S. 75-178 (Italienische Ausgabe hrsg. von Lorenzo Bianconi / Giorgio Pestelli, Torino 1988).<br />

14<br />

Dahlhaus, a.a.O., S. 87.<br />

15<br />

Brief vom 10. Juni 1747 an Giuseppe Bettinelli (Metastasio, Pietro: Tutte le Opere, hrsg. von Bruno Brunelli,<br />

Milano 1951, Bd. 3, S. 307).<br />

16<br />

Ein früher Beleg einer mehrstimmige Vertonung der Didonis novissima verba findet sich bereits in den 1538<br />

mit einem Vorwort Martin Luthers gedruckten Sinfoniae iucundae atque adeo breves. Vgl. Herder, Johann<br />

Gottfried: Briefe zu Beförderung der Humanität, hrsg. von Irmscher, Hans <strong>Die</strong>trich, Frankfurt am Main 1991<br />

(Bibliothek deutscher Klassiker), S. 184 und Anm.<br />

17<br />

Vgl. Stieger, Franz: Opernlexikon, Titelkatalog, 3 Bde, Tutzing 1975.<br />

18<br />

Später gibt es auch Ballett-Bearbeitungen des Stoffes. Stieger, a.a.O., S. 324 und 326 hat für das 18. Jahrhundert<br />

in Mannheim, Turin und Petersburg, für das 19. Jahrhundert in Mailand Ballettinszenierungen nachgewiesen.<br />

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