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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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VI Der Neustoizismus: Leitphilosophie der Frühen Neuzeit<br />

bildlich: »Ad Christiana et nostra exempla tutius transeo, quae in sanctis viris et<br />

martyribus sunt infinita.« 74<br />

So geht Lipsius in seinen Monita et exempla politica ausführlich auf Herrschertugenden<br />

und Herrscherlaster (»virtutes et vitia principum«) ein und versammelt Beispiele<br />

mustergültiger constantia, die auf der frühneuzeitlichen Bühne und in der<br />

Historienmalerei oft aufgegriffen wurden. 75 Ausführlich rühmt er Cato, der stets die<br />

republikanische Sache gegen Cäsar verteidigt und am Ende sogar den Tod gewählt<br />

hat, um nicht der Tyrannei zu erliegen. Bemerkenswert ist, dass auch das heroische<br />

Verhalten seiner Tochter Porzia in diesem Zusammenhang genannt wird. 76<br />

Lipsius referiert die bekannte Anekdote, sie habe sich die Verschwörung ihres<br />

Mannes gegen Cäsar vermutend mit dem Messer verletzt, um ihre Selbstbeherrschung<br />

zu erproben. Lipsius dramatisiert die Szene in einem Monolog, in dem Porzia<br />

Brutus ihre Ebenbürtigkeit demonstriert. 77 <strong>Die</strong> stoische <strong>Tugendheldin</strong> ist bereit,<br />

Schmerzen zu ertragen und zu sterben. Nachdem sie glühende Kohlen geschluckt<br />

hat, reiht sie sich mit ihrer ultima vox in die Tradition heroischen Sterbens ein:<br />

»Quid mortem aliquis impediat, aut neget? Non potest: et pater vos docuit.« (›Wie<br />

sollte man meinen Tod aufhalten oder verhindern? <strong>Die</strong>s ist nicht möglich, wie euch<br />

mein Vater bereits gezeigt hat.‹) Wenn Lipsius die Exempelreihe in die nachantike<br />

Zeit weiterführt, nennt er ganz selbstverständlich Märtyrer 78 <strong>als</strong> Beispiele bemerkenswerter<br />

constantia. Für den neustoischen Philosophen ist stoisches und christliches<br />

Sterben in gleicher Weise vorbildlich. Seine bewegende Schilderung des Todes,<br />

die sich erkennbar auf die literarische Tradition der exitus illustrium virorum<br />

bezieht, gipfelt in der verklärenden ultima vox, die das Sterben eine Christen oder<br />

Stoikers verfänglich signifikant der antiken Gattung der ἀνάβασις des θεῖος<br />

ἂνθρωπος, der Schilderung des vorbildlichen Sterbens, annähert. Im Sterben erhält<br />

der Stoiker ebenso wie der Christ eine Vorbildfunktion für die Zurückbleibenden;<br />

diese Vorbildfunktion stützt sich auf die Taten und die Haltung des nun zu Ende<br />

gehenden Lebens. <strong>Die</strong> Summe des Lebens wird in der ultima vox meist pathetisch,<br />

zumindest aber pointiert zugespitzt und gebündelt.<br />

Für den Neustoizismus ebenso wie für die Frömmigkeitspraxis der entstehenden<br />

nachreformatorischen Konfessionen ist das entschiedene Interesse an der Insze-<br />

nierung des Lebensendes charakteristisch. <strong>Die</strong> Schwelle zum Tod erlaubt einen<br />

kritischen Rückblick, der sich durchaus auf eine den Neustoikern 79 unaufhörlich<br />

zitierte Passage Senecas beziehen kann, deren ethische Normen sich ebenso<br />

christlich deuten ließen:<br />

Quid profecerim morti crediturus sum. Non timide itaque componor ad illum diem<br />

quo remotis strophis ac fucis de me iudicaturus sum, utrum loquar fortia an sen-<br />

74 ›Mühelos komme ich zu Beispielen aus unserer christlichen Epoche, weil sich zahllose unter Heiligen und<br />

Märtyrern finden.‹ (Monita et exempla politica in: Opera omnia, a.a.O., Bd. 4,1, S. 123-321, hier: S. 177)<br />

75 Monita et exempla politica in: Opera omnia, a.a.O., Bd. 4,1, S. 123-321, hier bes. S. 174-176.<br />

76 »Porciam subnecto, patri filiam, nupserat ea M. Bruto, marito heroina hac digno.« (›<strong>Die</strong> Tochter Porzia<br />

schließe ich dem Vater an; sie hatte M. Brutus geheiratet, einen Gatten, der dieser Heldin würdig war.‹)<br />

77 »Sum, confide, possum ferre, possum contemnere: et mori o Brute cum marito, et pro marito possum.<br />

Proinde si quid tu honesti agitas, quod utrumque nostrum sit dignum, ne sile.« (›So bin ich, verlass dich darauf,<br />

ich kann [Schmerzen] ertragen und verachten. Und ich kann, Brutus, mit dem Gatten zusammen und für ihn<br />

sterben. Deshalb verschweige nicht dein Vorhaben, wenn es unser beider würdig ist.‹)<br />

78 Als Beispiele einer in den Tod führenden constantia nennt Lipsius (Manuductio ad stoicam philosophiam<br />

III,23 in: Opera omnia, a.a.O., Bd. 4,2, S. 817) u.a. die Heiligen Sophronia und Pelagia.<br />

79 So zum Beispiel Lipsius in der Manuductio ad stoicam philosophiam III,12 (in: Opera omnia, a.a.O., Bd. 4,2,<br />

S. 783ff.)<br />

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