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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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IV Liebe, Patriotismus und Selbstbestimmung: Sophonisbe <strong>als</strong> <strong>Tugendheldin</strong><br />

stückes spricht del Carretto selbst in der Widmung an Isabella di Mantua höfisch<br />

verklausuliert, aber deutlich genug aus. 56<br />

Das Stück war allerdings rasch veraltet, weil von Giovan Battista Giraldi Cinzio<br />

(1504-1573) und Gian Giorgio T r i s s i n o (1478-1550) 57 die bei Galeotto noch<br />

nicht beachteten aristotelischen Regeln in die Literaten- und Theoretikerdebatte<br />

des 16. Jahrhunderts eingeführt wurden. Cinzios Discorso ovvero lettera intorno al<br />

comporre delle commedie e delle tragedie (1543) und Trissinos Poetica (1529 und<br />

1562) erörterten den regelgerechten Aufbau des Dramas und das moralische Ziel<br />

der erneuerten Tragödie. Nicht mehr Götter oder Schicksal sollten wie bei Aischy-<br />

los oder Sophokles den tragischen Ausgang herbeiführen, sondern Einsicht und<br />

Wille der Protagonisten, wie es bereits Seneca in seinen Theaterstücken propa-<br />

giert hatte, dem sich die humanistischen Theoretiker der Frühen Neuzeit anschlos-<br />

sen. 58<br />

Es ist bemerkenswert genug, dass gerade der Sophonisbe-Stoff zum Vorwurf des<br />

ersten, folgenreichen Versuchs gewählt wurde, das antike Tragödienmodell neu zu<br />

beleben. 59 Gian Giorgio Trissino wählte die historisch-epische Vorlage <strong>als</strong> Thema<br />

der ersten klassizistischen Tragödie der Neuzeit. Er ließ seine Sofonisba 1515<br />

während des Karnev<strong>als</strong> vor Leo X. aufführen. 60 Im Vorraum des Teatro Olimpico<br />

von Vicenza, dem sogenannten Antiodeo, das Vincenzo Scamozzi nach palladia-<br />

56<br />

»Ricordandole in questa, quanto è da stimare la bella e pietosa libertà, la quale nè per oro, né per gemme,<br />

né manco per stati, si può vendere né commutare, e sì stimando voi esser una di quelle, a cui tal privilegio<br />

sopra ogni tesoro piace, leggetela dunque quando averete oportunità di leggerla, tenendomi di continuo nel<br />

vivo della memoria sua sì come merta il candido della servitù vera.« (a.a.O., S. 151) (›Das Stück mag Euch<br />

daran erinnern, wie hoch die schöne und tugendhafte Freiheit einzuschätzen ist, welche nicht für Gold oder<br />

Edelsteine, auch nicht für Länder zu verkaufen oder einzutauschen ist. Auch bin ich der Auffassung, dass Ihr<br />

zu den Frauen gehört, denen dieses Privileg wertvoller <strong>als</strong> alle Schätze ist. Lest <strong>als</strong>o bei Gelegenheit das<br />

Stück und behaltet mich in lebhafter Erinnerung, wie es meine aufrichtige Ergebenheit verdient.‹)<br />

57<br />

Informationen zu diesen Autoren bei: Rosa, Alberto Asor (Hrsg.): Letteratura Italiana, Gli Autori, Turin 1990,<br />

Bd. 1, S. 917-918; Bd. 2, S. 1749-1750.<br />

58<br />

Das »fuggire il vizio e seguire la virtù« (Mauda Bregoli-Russo in ihrer Ausgabe der Sofonisba Galeottos,<br />

a.a.O., S. 34) wird zum Dauerthema des Theaters und der Historienmalerei: »[…] e la tragedia o sia di fin lieto<br />

o d’infelice col miserabile, e col terribile purga gli animi da vizj, e gl’induce a buoni costumi« (Cinzio nach Bregoli-Russo,<br />

a.a.O.).<br />

59<br />

Manzoni hat es im Vorwort seines Conte di Carmagnola beklagt, dass »regelmäßige Tragödie überall mit<br />

einer langweiligen Sophonisbe ihren Anfang nehmen müsse« (Maurer, Karl: Goethe und die romanische Welt,<br />

Paderborn 1997, S. 239f.).<br />

60<br />

Ariani, Marco (Hrsg.): Il teatro italiano, Bd. 2, La tragedia del Cinquecento, Turin 1977. <strong>Die</strong> editio princeps<br />

erschien im Juli 1524 und wurde im 16. Jahrhundert in mindestens 31 verschiedenen Drucken in Italien verbreitet.<br />

Der europäische Erfolg der klassizistischen Tragödie ist ohne dieses Stück nicht vorstellbar. Vgl.<br />

Ciampolini, Ermanno: La prima tragedia regolare della letteratura italiana, Firenze 1896. Mauda Gregoli-Russo<br />

schreibt im Vorwort ihrer Ausgabe von del Carrettos Li sei contenti e La Sofonisba, a.a.O., S. 30 zur Einführung<br />

der Sciolti in Trissinos Sofonisba: »Il dramma delcarrettiano fa nascere naturalmente il confronto con la<br />

Sofonisba del Trissino, considerata la prima tragedia regolare in lingua italiana, nel nuovo endecasillabo sciolto<br />

riproducente il trimetro giambico catalettico del dramma tragico classico.«<br />

70

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