21.06.2013 Aufrufe

Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

VIII Tema con variazioni – Bildprogramme<br />

Heutige Hängungen geben allerdings keine Hinweise auf ursprüngliche Pendants,<br />

da museale Anordnungen von Gemälden dem Zeitgeschmack unterliegen. Aus diesem<br />

Grunde können Pendant-Hängungen am zuverlässigsten in seit ihrer Einrichtung<br />

wenig veränderten Barockgalerien beurteilt werden, über deren Bestand hinreichende<br />

Informationen vorliegen, auch wenn viele <strong>als</strong> Pendants erworbene Gemälde<br />

inzwischen ohne ihr Gegenstück gezeigt werden. 9 Auch in einer ursprünglich aristokratischen<br />

oder fürstlichen Barockgalerie hat heute das Prinzip der Variation und der<br />

Wunsch, viele Meister und Objekte vorzustellen, Vorrang vor der zunächst intendierten<br />

ikonographischen Ausgewogenheit. Nur Bestandskataloge geben noch Auskunft<br />

über die Anschaffungspolitik und dokumentieren, dass <strong>als</strong> Gegenstücke vor allem<br />

Landschaften, Genrebilder und Verlobten- oder Ehepaarbilder beliebt waren. Mythologische,<br />

biblische und historische Themen wurden seltener <strong>als</strong> Pendants erworben;<br />

das Gleiche gilt für Stilleben. 10<br />

Am bekanntesten sind heute die graphischen Reihen des französischen 17. Jahr-<br />

hunderts, die in den letzten Jahren mit dem feministischen Interesse für die fem-<br />

mes fortes besondere Beachtung gefunden haben: <strong>Die</strong> Illustrationen zu La femme<br />

heroïque ou les heroïnes comparées avec les heros en toute sorte de vertus von<br />

Jacques Du Bosc (1645) und zu La gallerie des femmes fortes von Pierre Le Moy-<br />

ne (1647) fanden weite Verbreitung und haben zweifellos entscheidend zur Ver-<br />

breitung des Themas der <strong>Tugendheldin</strong> beigetragen. <strong>Die</strong>se Graphikserien stehen<br />

aber keineswegs am Beginn der Bildprogramme. Bereits um 1500 sind in Italien<br />

genau komponierte Gemäldeserien mit dem Bildmotiv der ›starken Frauen‹ nach-<br />

weisbar, in Frankreich unterstützte die im 16. Jahrhundert aufkommende architek-<br />

tonische Mode der aristokratischen ›Galerien‹ die Reihenbildung. Außerdem<br />

brachten politische Gründe in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts das Thema<br />

erneut in Mode.<br />

<strong>Die</strong> ikonographische Reihung weiblicher <strong>Tugendheldin</strong>nen wurde in der Frü-<br />

hen Neuzeit einerseits von der mittelalterlichen Konzeption der neuf preuses, an-<br />

dererseits von literarischen Katalogen berühmter Frauen beeinflusst.<br />

Jacques de Longuyon preist in den Voeux du Paon (1312/1313) panegyrisch die<br />

Kriegstaten von Hektor, Alexander, Cäsar, Josua, David, Judas Makkabäus, Artus,<br />

Karl dem Großen und Gottfried von Bouillon. Daraus entstanden die neuf preux, deren<br />

Katalog früh feststand. <strong>Die</strong> preux wurden <strong>als</strong> Exempel ritterlicher und höfischer<br />

Lebensführung in altfranzösischen, mittelenglischen, mittelhochdeutschen, mittelniederländischen,<br />

gelegentlich auch in italienischen und spanischen Texten übernommen.<br />

11 <strong>Die</strong> kanonisierte Reihe, deren Dreiergruppen die geläufige heilsgeschichtliche<br />

Konzeption (ante legem, sub lege und sub gratia) aufgriff, wurde wohl zuerst im Livre<br />

de Leësce des Jehan Le Fèvre (zwischen 1373 und 1387) durch neun weibliche<br />

preuses ergänzt. <strong>Die</strong> ebenfalls in Triaden eingeteilten preuses waren weniger festge-<br />

9 Ich wähle das Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig und das dazugehörige Verzeichnis der Gemälde<br />

vor 1800, hrsg. von Jacob, Sabine / Klessmann, Rüdiger, Braunschweig 1976.<br />

10 Vgl. Fußnote 165.<br />

11 Dazu Ott, Norbert: »Neun Gute Helden«, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, Sp. 1103-1106.<br />

234

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!