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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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Inanspruchnahme ausgesprochen wurden. Wirksam umzusetzen waren die Verbote<br />

freilich nicht. Die geistlichen Gerichte arbeiteten schneller, das angewandte<br />

Prozessrecht war frei von irrationalen traditionellen Elementen, dazu war die<br />

Vollstreckung besser gesichert. Wo be<strong>im</strong> weltlichen Gericht der Vollzug an den<br />

Grenzen <strong>des</strong> Sprengels endete, war für die Kirche der Schuldner gleichsam überall<br />

erreichbar. Ganz zu schweigen von den kirchlichen Mitteln der Durchsetzung; die<br />

bevorstehende Exkommunikation, die Ausgrenzung aus der Gemeinde oder die<br />

Drohung ewiger Höllenqualen machten einem säumigen Schuldner Beine.<br />

Natürlich durfte hier ein heiliger Schutzpatron nicht fehlen, Ivo Hèlory, ein französischer<br />

Jurist; von dem allerdings der Volksmund behauptete, dass er nach seiner Aufnahme in<br />

den H<strong>im</strong>mel sofort die Leiter hinter sich hoch gezogen habe.<br />

Das aus Traditionen gewachsene weltliche Recht kannte viele Rechtskreise; unabhängig<br />

von einander gewachsen und schließlich zu einem sowohl widersprüchlichen<br />

wie verschachtelten System zusammengewachsen, erschwerte es die Rechtsfindung.<br />

Das außergerichtliche Schiedsverfahren wurde daher oft einem ordentlichen Prozess<br />

vorgezogen.<br />

Das weltliche Recht setzte dazu vor allem auf Mündlichkeit, sowohl in der Rechtsüberlieferung,<br />

als auch auf Zeugenaussagen bei aktuellen Fällen.<br />

Die römische Kirche entwickelte dagegen ein universales Rechtssystem.<br />

Die neuen Juristen führten den viel zitierten Aktenstaub, die Schriftlichkeit, also die<br />

“Entscheidung nach Aktenlage“ ein.<br />

Das heißt: Anklageschrift, Zeugenprotokolle, Dokumente als Beweise, „Briefe sind<br />

besser als Zeugen“.<br />

Um dem Anspruch <strong>des</strong> 4.Laterankonzils höchster Gesetzgeber zu sein und den damit<br />

verbundenen gewachsenen Anforderungen gerecht zu werden, begannen um 1230<br />

zuvorderst Kanoniker der Rechtsschule Bologna, die inzwischen deutlich gewachsene<br />

Masse <strong>des</strong> vormaligen „Codex Justiniani“ sinnfällig zu ordnen. Das Ergebnis ihrer<br />

Mühen, das römisch-kanonische Recht, ist selbst für den Laien heute noch sichtbar.<br />

„Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, „Augen auf! Kauf ist Kauf!“, „Pacta sunt<br />

servanda“, d. h. Verträge müssen gehalten werden, „Wer schreibt, der bleibt!“, das<br />

Wesen der Vertragsfreiheit, die Ehe auf der Grundlage der Willensbekundung von Frau<br />

und Mann anstelle der väterlichen Verfügungsgewalt. Und selbst der Ausdruck<br />

„anhängiges Verfahren“, geht auf jene Kanoniker zurück: Da man noch keine Schränke<br />

kannte, anderseits Mäusefraß fürchtete, wurden die Papiere der Verfahren in Köchern<br />

oder auch Röhren verwahrt, die an Schnüren von der Decke hingen.<br />

Als Einblick in die Denkweise jener Juristen, ein Ausschnitt aus einem Gutachten <strong>des</strong><br />

Thomas von Aquin aus der Zeit um 1260:<br />

„Denn wer zu einem best<strong>im</strong>mten Termin schuldet, handelt wucherisch, wenn er vor<br />

dem Termin zahlt, um einen Schuldnachlass zu erlangen, weil er offenbar den<br />

Zahlungstermin für Geld verkauft… Er wird auch nicht dadurch entschuldigt, dass er<br />

durch die vorzeitige Zahlung einen Nachteil erlitten habe, oder dass ihn ein anderer<br />

dazu verleitet habe, denn sonst könnten alle Wucherer entschuldigt werden.“<br />

Damals wie heute waren Spezialisten gesucht. Bartolus de Saxoferrato (1314-1357),<br />

wurde mit dem Spruch: „Nemo iurista nisi Bartolista“ gerühmt. Und sein Schüler Baldus<br />

de Ubaldis (1327-1400) verdiente sich durch streitige Erbeinsetzungen ein Vermögen<br />

von sagenhaften 15000 Dukaten; er hatte allerdings bei seinen Gutachten neben dem<br />

jeweiligen Statutarrecht (Stadtrecht) auch das kanonische Recht und das alte<br />

lombardische Lehnsrecht zu berücksichtigen. Letzteres bedeutet, das Rechtswissen<br />

<strong>des</strong> Baldus de Ubaldis umspannte 600 Jahre, er besaß selbst Kenntnsse weltlicher<br />

Rechtspflege, wie sie noch vor der Zeit der Karolinger in Italien geübt wurde.<br />

Unser heutiges europäisches Rechtssystem, das so einheitlich allerdings nicht existiert,<br />

ruht sowohl auf dem römischen Recht wie auf dem kanonischen Recht. Trotz<br />

Reformation und späterer Überarbeitungen, sie sind derart miteinander verzahnt, man<br />

kann sie nicht von einander trennen.<br />

„Doctor iuris utriusque“, Doktor beider Rechte, <strong>des</strong> römischen wie <strong>des</strong> kirchlichen<br />

Rechts – so lautet bis heute der vollständige Doktortitel eines Juristen.<br />

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