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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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Ohne Zweifel liessen sich Melanchthons <strong>Faust</strong>-Exempla besser auswerten, hätte<br />

Manlius die dazugehörigen Belehrungen ebenfalls überliefert; die kalte Abfolge der<br />

Exempel schadet bald mehr, als sie nützt. Die Textstruktur musste zwangsläufig<br />

Zweifel schüren; ein Abt Trithemius wäre eventuell sogar ausfallend geworden:<br />

„Battologus!“ (Schwätzer)<br />

Doch wo der Abt bei seinen Werken die eigene Gelehrsamkeit nach vorne rückte, hat<br />

Manlius allein das lesende Publikum <strong>im</strong> <strong>Visier</strong>. Wohl intuitiv erfühlt er, der Wind hat<br />

sich gedreht, die lesenden Menschen sind der klugen und der frommen Büchlein <strong>im</strong><br />

Moment leid geworden. Wo die Elterngeneration noch gierig drängte, die Bibel <strong>des</strong><br />

gelehrten Martinus Luther zu lesen, die gegenwärtige Generation hat fürs Erste genug<br />

vom vielen Frommsein, sie hat wieder Spaß an Deftigem - an tollen <strong>Faust</strong>geschichten.<br />

Damit könnte man die Erkundung schließen. Doch abgesehen von den teuflischen<br />

Zeitgeistereien, der Text enthält auch Informationen, die hinterfragt werden müssen.<br />

Melanchthons Auskunft, wo <strong>Faust</strong> vom Teufel das Genick gebrochen wurde, nämlich<br />

in „einem Dorff in Wirtenberger landt“, ist offenbar ein falscher Textbaustein.<br />

Die Auskunft über den To<strong>des</strong>ort sowie die Schilderung der Vorgänge bei <strong>Faust</strong>s Tod<br />

gehören zum gleichen Exempel; es ist nicht recht einsichtig, warum Melanchthon über<br />

die Vorgänge der letzten vierundzwanzig Stunden <strong>im</strong> Leben <strong>des</strong> Dr. <strong>Faust</strong>us detailliert<br />

Bescheid weiß, den To<strong>des</strong>ort dagegen nicht kennt, beziehungsweise ihn weiträumig<br />

„in Wirtenberger landt“, ansiedelt, als wüsste er selbst es nicht so genau.<br />

<strong>Faust</strong> war spätestens mit seinem Aufsehen erregenden Tod ein hoch wirksames<br />

Beispiel innerhalb der protestantischen Moraltheologie. Melanchthons bedeutende<br />

Stellung als Mann neben Luther ließ gar nichts anderes zu, als aus erster Hand<br />

informiert zu sein, er wusste, <strong>Faust</strong> starb in Staufen.<br />

Und wie aus „MBW“ ersichtlich, war das obere Rheintal für Wittenberg keineswegs<br />

irgendwo und informationsfern hinter den sieben Bergen gelegen.<br />

Da gab es Studenten, die sowohl in Basel als auch in Wittenberg studierten, es<br />

studierten in Wittenberg Stipendiaten aus Bern.<br />

In Basel und Straßburg waren zudem Buchdrucker wie Johannes Oporin, Krafft Müller<br />

und Johannes Herwagen ansässig; die Drucker trafen sie sich mit ihren Autoren, den<br />

Professoren der verschiedenen Universitäten, also auch mit den Gelehrten von<br />

Wittenberg, auf den Messen von Frankfurt, Nürnberg und Leipzig. Melanchthon selbst<br />

n<strong>im</strong>mt in seinen Briefen wiederholt Bezug auf das Messegeschehen. Er schreibt, dass<br />

er bis zur Messe ein Manuskript fertigstellen will, er verspricht, dass man sich auf der<br />

Messe treffen wird, auf der Rückreise von einer Messe schreibt er witzelnd über<br />

Oporin, dass jener ein Manuskript Melanchthons hintenan stellte, statt<strong>des</strong>sen den<br />

Koran druckte und nun <strong>des</strong>halb nur allzu gerechter weise eine Strafe zahlen muss.<br />

Zudem betätigten sich sowohl Johannes Oporin als auch Krafft Müller auf ihren<br />

Geschäftsreisen als Briefboten für Melanchthon.<br />

Des Weiteren existierte zwischen Wittenberg und den Reformatoren in Straßburg ein<br />

reger Gedankenaustauch; in „MBW“ finden sich Briefe von Martin Bucer, Wolfgang<br />

Capito und Martin Schalling. Noch intensiver war der Briefverkehr mit den Schweizern,<br />

man suchte zu einer Konkordie bei den strittigen Fragen der Glaubensauffassung zu<br />

gelangen; Johannes Calvin in Genf, Heinrich Bullinger in Zürich, Joach<strong>im</strong> Vadian in St.<br />

Gallen. Und auch die Stadtreg<strong>im</strong>enter von Zürich, Bern, Basel, Schaffhausen, St.<br />

Gallen, Mülhausen und Biel fragten in Wittenberg um Lehrmeinungen nach. Wie gut<br />

man sich in Wittenberg zu informieren verstand, zeigt der Fall „Zwingli“. Am<br />

24.10.1531 sandte Martin Bucer an Melanchthon einen umfassenden Bericht über die<br />

Hintergründe, die zu den zwei Kappler Kriegen und zu Zwinglis Tod führten, am<br />

31.8.1538 übersandte Heinrich Bullinger die Akten, die Zwinglis Unschuld an den<br />

Kappler Kriegen bewiesen.<br />

Und auch mit Jacob Milichius in Freiburg und mit Johannes Zwick in Konstanz stand<br />

Melanchthon in Briefverkehr.<br />

Dass Melanchthon dennoch – entgegen bester Nachrichtenverbindungen, <strong>Faust</strong>s<br />

schreckliches Ende von habsburger und somit katholischen Boden in eine reformierte<br />

Landschaft verlegt, hat wohl moraltheologisch-propagandistische Gründe.<br />

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