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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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Dass dieses reiche Kloster und zugleich Feudalherr, das mit Rechts- und Zehntgeschäften<br />

die Geschehnisse über Hunderte von Kilometern in das Land hinein<br />

best<strong>im</strong>mte, nicht in vielfältigsten Beziehungen zu den Menschen stand, nicht einmal<br />

das Denken <strong>im</strong> nahe gelegenen Knittlingen bewegt hätte, es hieße, die Geschichte <strong>des</strong><br />

Mittelalters neu zu schreiben.<br />

Um 1150, weniger als hundert Jahre nach der Gründung, besaß das Kloster einen<br />

Streubesitz in bereits mehr als hundert Orten, selbst auf der anderen Rheinseite hatte<br />

es in zwölf Dörfern Fuß gefasst. Es profitierte dabei <strong>im</strong> Wesentlichen von vier Faktoren:<br />

Der Adel machte für seine Seelenheil Schenkungen, auch lebte er über seine<br />

Verhältnisse, er musste laufend Teile seiner Herrschaft verkaufen. Das finanzkräftige<br />

Kloster nahm <strong>des</strong> Weiteren konsequent jede Möglichkeit eines sich bietenden Zukaufs<br />

wahr. Und in Not geratene freie Bauern konnten sich in die Leibeigenschaft <strong>des</strong><br />

Klosters retten; der Hof wurde klösterlicher Besitz, der Bauer betrieb die Hofstelle<br />

weiter.<br />

Die jeweilige Verwaltung und Bewirtschaftung in den Klosterorten wurde durch<br />

Pfleghöfe unter Führung eines Laienbruders betrieben. Der Zehnte, die Abgaben und<br />

auch Steuern, soweit in Naturalien abgeführt, mündeten in den Handel mit<br />

Agrarprodukten.<br />

Die Lagerung und die damit verbundenen Überlegungen über den gewinnträchtigsten<br />

Zeitpunkt <strong>des</strong> Verkaufs bedeuteten zwangsläufig auch Warenspekulation.<br />

Gegen 1420 war der Streubesitz zu einem nahezu geschlossenen Besitz zusammengewachsen.<br />

Eine weitere Ausdehnung war nicht möglich, nicht weniger zielstrebige<br />

Territorialherren standen nun mit ihren Grenzen dagegen.<br />

Das Kloster, weniger ein geistlicher als ein wirtschaftlicher Mittelpunkt, stand <strong>im</strong><br />

Zentrum <strong>des</strong> Denkens und Redens der Menschen.<br />

Falls es zuträfe, dass <strong>Faust</strong> unehelich war, so war es durchaus üblich, dass man als<br />

mögliche Lebensperspektive ein Klosterleben in Erwägung zog. Der fleischgewordene<br />

Schandfleck väterlichen Fehltritts als kommender Zisterziensermönch; nach Jahren<br />

aller Welt sichtbaren Ehebruchs, nun die völlige Umkehrung <strong>des</strong> Sachverhalts, die<br />

beschmutzte Familie plötzlich mit eigenem Türklopfer zur zentralen irdischen Macht<br />

und per Stellvertreter in stündlichem Gebetskontakt mit Gottes Allmacht – das sich<br />

auszumalen, es muss einem betuchten Erzeuger behagt haben.<br />

Neben dem Gedanken, <strong>Faust</strong> wäre der uneheliche Sproß eines reichen Knittlingers<br />

gewesen, ist auch die Situation denkbar, dass <strong>Faust</strong>s Vater <strong>im</strong> Dienst <strong>des</strong> Schutzkommandos<br />

ums Leben kam und das Kloster dem Waisen unter die Arme griff.<br />

Zu dieser Zeit hatte das Kloster nachweislich Nachwuchsmangel. Möglichen Nachwuchs<br />

früh heranzuziehen ist klug, auch gehört das Unterrichten zum kirchlichen<br />

Selbstverständnis, besonders wenn es sich um Knaben handelt, von denen man<br />

bereits gehört hat, dass sie deutlich gewitzter als andere sind; „Witze“ steht <strong>im</strong><br />

Mittelhochdeutschen für Verstand.<br />

Ein Kloster, und ganz besonders Maulbronn, hatten viele Aufgaben zu vergeben.<br />

<strong>Faust</strong>, eventuell gerade zwölf Jahre alt, er hat bei diesen Plänen wohl gerne mitgespielt.<br />

Die Vorstellung, ein angesehener Zisterzienser, eine Respektperson zu<br />

werden, es muss seine Fantasie beflügelt haben.<br />

Ein Kloster besitzt auch heute noch für Kinder und Jugendliche eine hohe<br />

Anziehungskraft. Die Eigenheiten der Mönchsgemeinschaft, die Stille, die gehe<strong>im</strong>nisvollen<br />

Klausurbereiche, und wenn Mönche, die Kapuzen über den Kopf geschlagen,<br />

mit brennenden Kerzen, unter Gewölbe füllenden Gesängen in pechschwarzer Nacht in<br />

die Kirche ziehen, dann kann Anziehungskraft zur Faszination werden.<br />

Es ist eine Besonderheit der Zisterzienser, die Patres wohnen innerhalb <strong>des</strong> Klosters in<br />

einem abgeschlossenen Gebäude. Das Betreten dieses Gebäu<strong>des</strong> ist selbst den<br />

Fratres untersagt.<br />

Wenn überhaupt, dann war die Handvoll junger Kandidaten bei den Fratres untergebracht.<br />

Den Tagesablauf best<strong>im</strong>mten die Ordensregeln. Um vier Uhr früh<br />

versammelte man sich zur Morgenandacht, anschließend Frühstück, dann Latein,<br />

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