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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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Nicht zu übersehen, die Anzahl jüdischer Namen in „MBW“: Honigmann, Seligmann,<br />

Seidemann. Ein Student namens Johannes Mendel wird zwar in „MBW“ nicht erwähnt,<br />

doch der Leser kennt ihn bereits, er heißt Johannes Manlius. Es will scheinen, dass in<br />

dieser Zeit, da die Juden noch <strong>im</strong>mer aus den Städten fortgejagt werden, sich nicht<br />

wenige von ihnen mit dem Protestantismus arrangierten.<br />

Ohne Luther – keine Reformation, doch „MBW“ macht deutlich: ohne Melanchthon –<br />

kein Überleben der Reformation.<br />

Melanchthon stand für die geistige Quintessenz <strong>des</strong> Protestantismus – Wittenberg<br />

erstrahlte in hellem Licht. Melanchthons Nähe zum kurfürstlichen Hof gab dem<br />

Engagement seines Fürsten den Glanz von Gelehrsamkeit, bürgte für <strong>des</strong>sen<br />

Friedensliebe, Kaisertreue und ehrliche Verhandlungsbereitschaft mit Rom. Dem Zorn,<br />

der Intoleranz und der Gier jener Jahrzehnte stellte Melanchthon sein Bedürfnis nach<br />

Frieden und Harmonie entgegen. Seiner Bereitschaft zum Kompromiss, sowohl mit<br />

Rom als auch mit den protestantischen Gruppierungen, waren keine Grenzen<br />

gezogen. Melanchthon verstand es quer durch die Menschheitsgeschichte zu<br />

argumentieren. Sein profun<strong>des</strong> Wissen, nicht allein der Antike, sondern auch der<br />

Bibelauslegung, der Geschichte, der Kirchengeschichte, selbstverständlich auch der<br />

mosaischen Gesetze, dazu sein überaus biegsam-elastischer Geist, gaben den<br />

protestantischen Fürsten jene Argumente und Gutachten in die Hände, damit diese auf<br />

der politischen Bühne agieren konnten. Mühelos trägt Melanchthon für seinen Fürsten<br />

in einem Gutachten vom Dezember 1536 ein Dutzend Präzedenzfälle zusammen, die<br />

beweisen, dass auch ein Kaiser ein Konzil einberufen darf. Für König Heinrich VIII.<br />

von England konstruiert er eine Ausnahmeregelung für Bigamie, diese sei zulässig, so<br />

es der Erhalt der Dynastie erfordere. Die Verehrung der Tagesheiligen, vorgestern<br />

noch als „verruchter römischer Götzendienst“ angeprangert, Melanchthon kann sich<br />

auch vorstellen, sie als „Gedenktage“ zu etikettieren.<br />

Melanchthons Scharfsinn ist es zu verdanken, dass Rom den Vorwurf der Ketzerei<br />

nicht aufrechterhalten konnte. Auf dem Augsburger Reichstag von 1530 legt er die<br />

„Confessio Augustana“ vor, der die „Confutatio“, ein katholisches Positionspapier,<br />

entgegen gestellt wird. Als Melanchthon dann in der Debatte um das Abendmahl<br />

darlegt, dass Christus nur <strong>im</strong> Augenblick der Wandlung in Wein und Brot gegenwärtig<br />

sei und Johann Eck ihn nicht widerlegen kann, gerät Johann Eck in Gegenwart <strong>des</strong><br />

Pfalzgrafen Friedrich und <strong>des</strong> Nikolaus Granvella derart in Zorn, dass er erkrankt;<br />

Nikolaus Granvella, ein hoch angesehener Jurist, war Leiter <strong>des</strong> kaiserlichen<br />

Petitonswesen.<br />

Der Augsburger Reichstag von 1530, neun Jahre nach Worms, war für den Bestand<br />

und die Entwicklung <strong>des</strong> Protestantismus von hoher Bedeutung: Der Vorwurf der<br />

Ketzerei war vom Tisch, das Anliegen der Protestanten, dass Rom Reformen<br />

durchführen müsse, war legit<strong>im</strong>.<br />

So <strong>im</strong> Essay „Melanchthon schweigt“ bei der Betrachtung <strong>des</strong> Manlius-Textes der<br />

Eindruck vermittelt wurde, Luther und Melanchthon wären bei der Verfolgung<br />

faustischer und überhaupt teuflischer Künste Hardliner gewesen, so wird dieser<br />

Eindruck durch „MBW“ nicht korrigiert. Zwar ist „MBW“ nur ein Torso, doch die<br />

seinerzeitige Vorstellung, dass der Teufel auf Erden wirke, findet sich in vielen<br />

Dokumenten bestätigt.<br />

In einem Gutachten vom 4./5. Juni 1536 für den Landgraf Philipp von Hessen in<br />

Sachen „Bestrafung der Wiedertäufer“ schreiben Luther, Bugenhagen, Cruciger und<br />

Melanchthon: Halsstarrigkeit gegen Gottes Wort beweist das Wirken <strong>des</strong> Teufels.<br />

Im Dokument Nr. 1827 von 1536 notiert Melanchthon die Vorwürfe gegen die<br />

lutherische Sache (Schisma, Ärgernis, Aufruhr), sodann Argumente zu deren<br />

Verteidigung (Rechtfertigungslehre, Messe, Zölibat, Obrigkeit, Teufel).<br />

Und eines der letzten Bücher, das Luther vor seinem Tod publizierte, trägt den Titel<br />

„Wider das Bapstum zu Rom vom Teuffel gestifft“.<br />

Luther und Melanchthon, nicht anders als ihre Zeigenossen, glaubten an die Existenz<br />

<strong>des</strong> Teufels und sie haben ihren Beitrag zur großen Hexenverfolgung, die mit dem<br />

Religionsfrieden von 1555 einsetzte, geleistet.<br />

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