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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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Nun war der Kaiser mit Reuchlins Gutachten in einer Verlegenheit. Pfefferkorn hilft<br />

ihm, er schiebt den Streit in die Öffentlichkeit, er publiziert gegen „Reuchlin, den<br />

jüdischen Fürsprech“ den „Handspiegel gegen die Juden und ihre Schriften“.<br />

Hemmungslos besch<strong>im</strong>pft er Reuchlin: „Judengönner, Ohrenbläser, Beutelfeger,<br />

Hinterschützer, Seitenstecher“. Er behauptet, Reuchlin habe sich kaufen lassen, er<br />

habe „mit goldener Feder“ geschrieben, zudem könne Reuchlin gar nicht Hebräisch:<br />

„gleich als ob du werst ein großer gelehrter Doktor und lerer der Hebryschen tzungen“.<br />

Reuchlin schlägt mit dem „Augenspiegel“ zurück: „Du Lügner! Der Christ soll den<br />

Juden lieben…“<br />

Das ist neu! Ein Ankläger der Juden wird Lügner geheißen! Deutschland ist begeistert,<br />

außerdem ist in Frankfurt gerade Buchmesse …<br />

Die Universität von Paris fordert die Einziehung <strong>des</strong> „Augenspiegels“. Und nun packt<br />

Hoogstraeten als „Haereticae pravitatis inquisitor“ zu, Reuchlin muss sich als Ketzer<br />

verantworten.<br />

Das hätte Hoogstraeten besser bleiben lassen. Doch als Inquisitor unmittelbar dem<br />

Papst unterstellt, handelte er gemäß höchster Anweisung, an der sich nun erneut das<br />

Dilemma der Kirche zeigt. Trotz Reorganisationen und Visitationen hat sie noch <strong>im</strong>mer<br />

kein Gespür für das, was sich da entwickelt, was sich seit Jahrzehnten zusammenbraut;<br />

zumin<strong>des</strong>t weiß sie damit nicht umzugehen, sie zeigt sich nicht elastisch, nur<br />

starr. Sie begreift sich noch <strong>im</strong>mer als unverrückbaren Stein. Diese heute merkwürdig<br />

anmutende Haltung ist nicht allein der Ausfluss eines Klüngels von Selbstbedienern,<br />

es ist auch das Gewicht eines Jahrtausendpakets von Urkunden und Titeln. Freilich<br />

diskutiert man dabei die eigene Reformbedürftigkeit und das seit mehr als einhundert<br />

Jahren, doch Summa summarum ist alles sehr kompliziert, unangenehm dazu, folglich<br />

schiebt man es weg und weiter auf der langen Bank und der nächsten Generation hin.<br />

Gehandelt wird nur noch in Notfällen – mit dem Handwerkszeug von vorgestern, als<br />

man selbst noch unangreifbar war. Mit Hexenbullen, die niemand in der explosiven<br />

St<strong>im</strong>mung umzusetzen wagt, mit einer Bannbulle, die keine Umsetzung gegen Luther<br />

finden wird, und Reuchlins Begeisterung für das Hebräische und die jüdischen Bücher,<br />

soll mit „Ketzer“, sprich „Glaubensabweichler“, aus der Welt geschafft werden.<br />

Haben die führenden Männer der Kirche die Dynamik der Bildungsbewegung bis dato<br />

nicht zur Kenntnis genommen, und auch nicht das Selbstbewusstsein ihrer Träger?<br />

Das Recht, Bildungsgut unter dem Aspekt der „Ketzerei“ zu beurteilen, gesteht <strong>im</strong><br />

Deutschland dieser Jahrzehnte so gut wie niemand mehr der Kirche zu. Begeistert<br />

stürzen sich die Humanisten auf Hoogstraeten und seine dominikanischen Mitstreiter,<br />

Ortwin Gratius und Arnold von Tongern. Ulrich von Hutten wirft sie auf die dichterische<br />

Streckbank, und Crotus Rubeanus in Gotha fabriziert und publiziert die „Dunkelmännerbriefe“.<br />

Eine Sammlung von 41 Briefen dümmlichen Inhalts in schlechtem<br />

Latein, derart formuliert, als entstammten sie dem Briefverkehr der Dominikaner untereinander.<br />

Ein Gelächter durchtobt Deutschland. Mag es viele Ursachen für den Ärger dieser<br />

Epoche geben, doch über die Vertreter der Kirche zu spotten und herzuziehen, ist<br />

geradezu ein Muss. Da kommen die dominikanischen Inquisitoren genau richtig. Sie<br />

stehen beispielhaft für das, als was die Kirche von Seiten der Bildungselite betrachtet<br />

wird: „Diese alten ungebildeten Männer, diese Küchenlateiner! In Anmaßung und alter<br />

Bildung über die Inhalte hebräischer Schriften zu entscheiden. Von wegen! Dass altes<br />

Schriftgut auf den Scheiterhaufen kommt, wo man gerade dabei ist, altes Schriftgut zu<br />

bergen und wieder zu beleben!“<br />

Endlich 1516, der Papst ermuntert den Venezianischen Buchdrucker Blomberg den<br />

Talmud zu drucken; eine löbliche Entscheidung, allerdings auch eine Drehung um<br />

volle 180 Grad. Nur zu treffend hatte Sebastian Brant in seinem Werk „Das<br />

Narrenschiff“ den Re<strong>im</strong> gequält: „St. Peters Schifflein ist <strong>im</strong> Schwank, ich fürcht gar<br />

sehr den Untergang.“<br />

Das Ansehen der dominikanischen Inquisitoren wurde durch den Streit mit Reuchlin<br />

derart beschädigt, nicht zu vergessen, dass Rom durch den Thesenanschlag Luthers<br />

<strong>im</strong> Jahr 1517 und die damit verbundene Erregung und Aufbruchst<strong>im</strong>mung zunehmend<br />

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