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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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stehe es dem Kaiser nicht zu, in kirchliche Hoheitsrechte einzugreifen. Der Kaiser gibt<br />

nach, er fordert das Urteil von Sachverständigen. Die Sachverständigen geben dem<br />

Anliegen Pfefferkorns in abgemildeter Form Recht. Der einzige, der fundiert und<br />

überzeugend widerspricht, ist Johannes Reuchlin, jener, der den Streit in seiner<br />

Begeisterung für das Hebräische unwissentlich losgetreten hatte. Reuchlin ist auch der<br />

einzige unter den Sachverständigen, der <strong>des</strong> Hebräischen umfassend mächtig ist.<br />

Im Jahre 1506 hatte Reuchlin seine „Rud<strong>im</strong>enta hebraica“, (Anfangsgründe <strong>des</strong><br />

Hebräischen) publiziert. Wer die Grundlagen <strong>des</strong> christlichen Glaubens verstehen<br />

wolle, sagte er, der müsse Hebräisch verstehen. Damit sah allerdings die Kirche ihre<br />

alleinige Deutungshoheit über das Alte Testament in Gefahr gebracht.<br />

Da traf es sich gut, dass eine jüdische Gemeinde in Mähren ihr Mitglied Pfefferkorn<br />

aus der Gemeinde ausschloss; Pfefferkorn hatte einen Einbruch verübt. Pfefferkorn<br />

ließ sich taufen, gelangte nach Köln, der Hochburg der Dominikaner und Sitz der<br />

Inquisition, und erhielt eine Stellung als Spitalverwalter.<br />

Reuchlins Gutachten, 1510 vorgelegt, stellte unter anderem fest, die Bücher der<br />

Bibelauslegungen seien von hohem Wert, kein Buch dürfe verbrannt werden.<br />

Bis heute richtet sich erstaunlicher weise bei Betrachtung der Reuchlin-Affäre der Blick<br />

allein auf das Urteil über den Inhalt der jüdischen Bücher. Dabei lag die Brisanz <strong>des</strong><br />

Gutachtens völlig anders. Reuchlin hatte unter Berufung auf alte römische Gesetzestexte,<br />

die dem „Codex Iustiniani“ beigeordnet blieben, auch die Gleichbehandlung der<br />

Juden gefordert. Und das in einer Zeit, als die Juden nach jahrhundertelangen<br />

Drangsalierungen nun überall endgültig vertrieben wurden.<br />

Kaiser Justinian hatte die Reihe der gegen Juden gerichteten Gesetze zwar fortgeschrieben,<br />

doch der „Codex Justiniani“ von 534 umfasste auch alte römische<br />

Kaisergesetze. Keineswegs so zu verstehen, dass die Kaiser der nichtchristlichen Zeit<br />

<strong>des</strong> Reiches toleranter gewesen wären, doch zum einen waren die geistig-ideologischen<br />

Handlungsgrundlagen andere gewesen, zum anderen lieferte Rom durchaus<br />

erste Folien der Intoleranz und der Verfolgung. Man denke an die Christenverfolgung,<br />

die Zerstörung <strong>des</strong> Tempels sowie die nachfolgend auf ewig auferlegte Strafe für den<br />

jüdischen Krieg (67 – 70), den „Fiscus judaicus“ – die erste amtlich eingeführte<br />

Judensteuer.<br />

Mit dem Verweis auf den Codex hatte Reuchlin an zwei Gesetzen gerührt. Einmal am<br />

Anspruch der Kirche, dass die Synagoge sich ihr unterzuordnen habe, sodann an der<br />

„Kammerknechtschaft“, diese machte die Juden zu rechtlosen Herrschaftsobjekten, zu<br />

kaiserlichem Eigentum, das von Fürsten und Städten wiederum gemietet werden<br />

konnte. Hätte sich Reuchlin durchgesetzt, es hätte sich den Juden die Möglichkeit<br />

eröffnet, vor dem Reichskammergericht gegen ihre Vertreibung zu klagen. Diese<br />

Brisanz <strong>im</strong> Gutachten Reuchlins wird bis heute nicht beachtet, und sie wurde auch<br />

damals von den Gebildeten nicht aufgenommen. Übersehen haben sie diese<br />

Einlassungen gewiss nicht, doch es ging ihnen allein um die Bücher, was andererseits<br />

nicht unklug war. Hätten sie sich Reuchlins Fehdehandschuh als ganzes übergezogen,<br />

sie hätten an einer Fülle von kirchlichen und kaiserlichen Gesetzen aus der<br />

Zeit nach dem 4.Laterankonzil von 1215 gerührt, sie hätten an entscheidenden<br />

Eckpunkten der bestehenden Ordnung gerüttelt. Es wäre in letzter Konsequenz<br />

gleichbedeutend damit gewesen, die Welt in die Zeit der sogenannten Ketzerkriege,<br />

der Bürgeraufstände und der Separatisten zurück zu führen, in jene Zustände um<br />

1200, die mit den Gesetzen, Dekreten und Bullen um 1230 beantwortet worden waren,<br />

Zustände, die denen der Jahrzehnte um 1510 nicht unähnlich waren. Ein Engagement<br />

der Humanisten in dieser Richtung hätte einen Schulterschluss mit den Forderungen<br />

der bäuerlichen Schichten bedeutet. Überspitzt formuliert, der Schwäbische Bund<br />

hätte nicht nur den Bauernaufstand niedergeworfen, sondern mit voller Zust<strong>im</strong>mung<br />

aller geistlichen und weltlichen Fürsten auch die Universitäten geschleift.<br />

Die frühen Humanisten hätten sich nicht nur übernommen – auch waren sie keine<br />

Revolutionäre.<br />

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