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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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sowie sich lateinische Beinamen zulegte, um seine Verbundenheit mit der Antike und<br />

dem Geist der daraus erwachsenen Renaissance zu bekunden. Conrad Celtis,<br />

Schüler <strong>des</strong> Laetus, hatte dann gefordert, dass es sich um drei Namen handeln sollte.<br />

Ein Schmankerl besonderer Art ist der zuvor genannte Halbgott „Helmitheus“ <strong>im</strong> Brief<br />

<strong>des</strong> Conradus Mutianus vom 3.10.1513. Ein wabern<strong>des</strong> Wortspiel, einmal mit<br />

„Helmstetius“, einem halb- oder auch scheinlatinisierten „helmstet“, korrekt wäre<br />

helmstetensis, sodann mit „Hemitheus“; Hemitheus bedeutet <strong>im</strong> Griechisch-<br />

Lateinischen: Halbgott.<br />

Die drei Wörter „Helmitheus“, „helmstetius“, „Hemitheus“, schnell und nachlässig<br />

gesprochen, klingen recht ähnlich: ein ohrenbrausen<strong>des</strong> Gaukelspiel mit Hörfehlergarantie;<br />

ein Kl<strong>im</strong>perspiel, <strong>des</strong>sen Möglichkeiten <strong>Faust</strong> gewiss nicht entgangen sind.<br />

<strong>Faust</strong>s Gegenüber konnte sich die Bedeutung gleichsam aussuchen, bzw. das<br />

verstehen, was er gern verstehen wollte. Er konnte auch nachfragen, dabei einen<br />

verachtungsvollen Blick riskieren, weil er so dumm und ungebildet sei, während <strong>Faust</strong><br />

ihn dabei rasch taxierte und entschied, ob er ihm nun weiter den „halben Gott“ bzw.<br />

den „Helmitheus“ zu schlucken gab, oder ob es klüger sei, rückwärts in Richtung<br />

„helmstet“ zu rudern.<br />

Addiert man zu den eingangs aufgezählten Titeln die Bezeichnungen seiner Berufe<br />

sowie seiner behaupteten medialen Befähigungen, dann ergibt sich ein geradezu<br />

feudal anmutender Rattenschwanz von Titeln, der gewiss nicht in voller Länge zum<br />

Einsatz kam. Die von Quellentext zu Quellentext anders lautenden Visitenkarten<br />

zeigen, <strong>Faust</strong> hat sich, der jeweiligen Situation entsprechend, aus seinem Repertoire<br />

die jeweils passende Würdenkette zurechtgepuzzelt. Denkt man sich seine<br />

selbstbewussten, um nicht zu sagen, unverschämten Reden hinzu – nicht zu<br />

vergessen seine merkwürdige „Kunst“, dann wusste er sich aus der Kakophonie seiner<br />

Mitbewerber hervorzuheben, sich stets einen unverwechselbaren Auftritt zu zaubern.<br />

Und da sind nicht nur seine Konkurrenten, die er übertönen muss, er muss auch<br />

gegen den Lärm dieser Zeit anschreien. Er war kein Gelehrter, kein Kaiser, Feldherr,<br />

Entdecker, kein Fugger, auch kein kühner Fechter, Dichterkönig oder Reformer, noch<br />

trat er als Autor in Erscheinung. Dass er inmitten dieser Zeit <strong>des</strong> Aufruhrs, der<br />

Spannungen und Aufregungen, es dennoch schaffte, dass uns <strong>im</strong>merhin – trotz aller<br />

nachfolgenden Wirren und Zerstörungen – neun Quellentexte erreichten, es liegt auf<br />

der Hand, <strong>Faust</strong> muss ein höchst ungewöhnlicher Mensch gewesen sein.<br />

Die Menschen in diesen Jahrzehnten sind aufgebracht, verstört, verunsichert. Sie sind<br />

hysterisch, versessen auf Übernatürliches, geradezu süchtig nach Wundern. Die reale<br />

Welt geht in Stücke, bietet keinen Halt, keine Orientierung mehr; es liegt ein Zeitenwechsel<br />

in der Luft. „… wenn ein solcher Wallfahrtszug nächtlicher weile mit Sang und<br />

Klang durch die Dörfer zog, so sprangen die Weiber auf und schlossen sich nicht<br />

selten <strong>im</strong> bloßen Nachtgewand demselben an. Wurden sie bei ihren Tagesverrichtungen<br />

von solchen Pilgerzügen übereilt, so liefen sie mit, wie der Geist der Andacht<br />

sie gefunden und ergriffen hatte, und ließen alles <strong>im</strong> Hause, Kinder und Gesinde und<br />

den Stall unversorgt liegen und stehen. In grotesken Gestalten, wie nackte Wilde, mit<br />

der Heugabel, mit dem Rechen oder mit einer Sense, die Weiber mit dem Melkfass in<br />

der hand, kamen viele nach Regensburg. Man hielt sie zum Theil für wahnsinnig oder<br />

bezaubert.“ Um <strong>im</strong> Ausschnitt dieses wilden Zeitgemäl<strong>des</strong> zu bestehen, mehr noch,<br />

um aus diesem Bild hervorzustechen, können es nicht dreiste Reden, billige<br />

Marktschreierei allein gewesen sein, die <strong>Faust</strong>s Bekanntheit begründeten.<br />

Über die Prediger jener Jahrzehnte wird berichtet „Kein Effekt war zu grob, kein<br />

Übergang vom Weinen zum Lachen zu krass, kein Anschwellen der St<strong>im</strong>me zu stark.“<br />

Diesen Zeitgeist bediente auch <strong>Faust</strong>; es ist gleichsam die Umrahmung jener<br />

seltsamen Kunst, die er wohl beherrscht haben muss. Er hat nicht allein stets die<br />

passenden Titel und Berufsbezeichnungen zur Hand, ergänzend zu den tollen<br />

Geschichten, die über ihn in Umlauf sind, zieht er mit wilden Sprüchen vom Leder;<br />

wenn er dabei überdosiert, dann weil er befindet, dass es das braucht, dass es die<br />

Situation hergibt.<br />

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