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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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Die <strong>Faust</strong>figur der „Historia“ von 1587 muss in ihrem Konzept als biblische Figur<br />

gesehen werden.<br />

Die Bibel darf zur Weltliteratur gezählt werden, die „Historia“ gewiss nicht, obgleich sie<br />

sich gut lesen lässt. Die „Historia“ ist von literaturwissenschaftlicher Bedeutung, nicht<br />

zuletzt ist sie eine Fundgrube.<br />

Wer sich zügig und unangestrengt über die „Teufelsglauberei“ jener Zeit informieren<br />

will, mit der „Historia“ kommt er auf seine Kosten. („Historia“ von D. Johann <strong>Faust</strong>en“,<br />

Reclam; die Nummer <strong>im</strong> Sort<strong>im</strong>ent lautet sinnigerweise „1516“.)<br />

Heutige Autoren bezweifeln, dass die lächerlich anmutenden Zaubereien, wie sie in der<br />

„Historia“ geschildert werden, das Fressen eines Heuwagens oder das Verzehren eines<br />

anderen Zauberers, von den Menschen damals wirklich geglaubt wurden. Es wurde<br />

geglaubt, Deutschland war in die Finsternis gefallen, ununterbrochen loderten die<br />

Feuerhaufen, es herrschte Hysterie. Man führe sich in diesem Zusammenhang den<br />

kruden Inhalt <strong>des</strong> Manlius-Textes vor Augen. Und die Autoren, die ununterbrochen ihre<br />

Überarbeitungen der „Historia“ lieferten, ihre Betriebsamkeit wäre wohl rasch erlahmt,<br />

hätte sich das Publikum nicht für die Zaubereien <strong>des</strong> <strong>Faust</strong>s interessiert.<br />

Pfarrer Gast wusste nichts von einer künftigen „Historia“, doch in seinen wenigen<br />

Zeilen – wohl aus einem pastoralen Reflex heraus formuliert – sind bereits die Grundzüge<br />

jener radikalen Instrumentalisierung enthalten, die <strong>Faust</strong> post mortem erfuhr.<br />

Gast eröffnet: „Als ich zu Basel mit <strong>Faust</strong> …“<br />

Bei Manlius heißt es: „Ich hab einen gekennet …“<br />

Auf „Mehrertheils auß seinen eygenen hinderlassenen Schrifften …“ beruft sich der<br />

Buchdrucker der „Historia“, Johann Spieß.<br />

Gast berichtet nicht, was er mit <strong>Faust</strong> gesprochen hat, Melanchthon gibt keine Details<br />

über <strong>Faust</strong> preis, wie sie sich aus einem Kennenlernen an sich hätten ergeben<br />

müssen, und auch Spieß verrät nichts; Inhalt und Verbleib der hinterlassenen Schriften,<br />

auch ob es sich um Bücher oder Handschriften handelte, es bleibt <strong>im</strong> Dunkel.<br />

Die in etwa identischen Eröffnungen dienen offenbar nur dem Nachweis, dass man<br />

autorisiert sei, da man <strong>Faust</strong> persönlich kannte bzw. sich auf seine Schriften stütze. Sie<br />

<strong>im</strong>plizieren, jede nachfolgende Zeile entspräche folglich der Wahrheit.<br />

Sodann wird das Treiben <strong>des</strong> <strong>Faust</strong>us dargestellt. Gast vermeldet, dass der Teufel auf<br />

<strong>Faust</strong>s Geheiß in einem Kloster lärmte, Manlius präsentiert gleichsam Ausschnitte der<br />

<strong>Faust</strong>vita und die „Historia“ schlüsselt das Treiben <strong>Faust</strong>s in viele Kapitel auf.<br />

„Der Elende…“ tituliert ihn schließlich Gast.<br />

„Cloaca multorum diabolorum“ zitiert Manlius.<br />

In der „Historia“ sind der schwarzen Titulierungen reichlich.<br />

Auf den so erfolgten, stets eindeutigen „Urteilsspruch“ folgt das verdiente „Ende“.<br />

In der „Historia“ selbstredend breit, dazu melodramatisch dargestellt.<br />

Bei Manlius eher sachlich erwähnt, bei Pfarrer Gast in gekonnt grausiger Überhöhung:<br />

„… seine Leiche lag auf der Bahre <strong>im</strong>mer auf dem Gesicht, obgleich man sie fünfmal<br />

umdrehte.“<br />

<strong>Faust</strong> war also so sehr verböst, selbst noch sein Leichnam, vom Bösen und vom Willen<br />

zum Bösen derart durchseelt, entwickelte ein wil<strong>des</strong> Eigenleben.<br />

1548 bezieht Melanchthon den „sündigen <strong>Faust</strong>“ als warnenden Querverweis in seine<br />

sonntäglichen „Postillen“ mit ein. „<strong>Faust</strong>“ war also bereits sieben Jahre nach seinem<br />

Tod zu didaktischem Material unter akademischen Bedingungen avanciert, was nur<br />

erneut bestätigt, das „Bild“ <strong>des</strong> toten <strong>Faust</strong> war in den lutherischen Landstrichen<br />

weitgehend identisch mit jenem „Bild“, das sich die Menschen jener Landstriche bereits<br />

noch zu seinen Lebzeiten von ihm gemacht hatten.<br />

Dass Melanchthon <strong>Faust</strong>s Leben zur Glaubensunterweisung nutzte, ist eine Sache,<br />

dass er sich dabei, wie es scheint, mit den älteren Zuhörern einig wusste, eine andere.<br />

Ob man nun diese Einmütigkeit „in rebus faustibus“ (Kunst-Latein) als Beweis dafür<br />

sehen will, dass die Menschen bereits den lebenden <strong>Faust</strong> weniger als Faszinosum,<br />

sondern als wirklich teuflisch erlebt hatten oder als Hinweis dafür, wie schnell<br />

Menschen in der angespannten Situation <strong>des</strong> Glaubenstreits zusammenrücken und<br />

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