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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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In der Tat, <strong>im</strong> Wettertagebuch finden sich der Flug der Schwalben sowie Raureif und<br />

Nebel festgehalten, die Feuchtigkeit auf den Steinfliesen, die Vernehmbarkeit der<br />

Glocken in den benachbarten Dörfern und auch die Tage, an welchen die Alpen klar<br />

am Horizont stehen.<br />

Kilian Leib betrieb Wetterforschung. Er war für die Bewirtschaftung <strong>des</strong> Klosters<br />

zuständig, ein Thermometer gab es noch nicht, auch das Barometer war noch nicht<br />

erfunden, und in die überlieferten Bauernregeln hatte er kein Vertrauen.<br />

Der Prior war also ein Empiriker. Das Tagebuch wurde von 1513 bis 1531 geführt, falls<br />

er selbst auf Reisen war, hielt ein Mitbruder die täglichen Beobachtungen fest.<br />

Das Wettertagebuch ist heute eine wichtige kulturgeschichtliche Quelle. Neben dem<br />

Heulen der Wölfe wurden Ernteerträge und Agrarpreise festgehalten, Begebenheiten<br />

und Nachrichten, der Tod von Mönchen sowie berühmter Zeitgenossen, aber auch<br />

interessante Besucher.<br />

<strong>Faust</strong> ist kein interessanter Besucher, der Prior mag ihn nicht. Da ist einmal die Verspätung<br />

der Notiz von <strong>im</strong>merhin vier Wochen, dann der zweifelsfrei spöttisch zu<br />

verstehende Zusatz „utpote sui generis“ (vielleicht wie seinesgleichen, wie Leute<br />

seines Schlages), sowie die Formulierung: „Er versicherte…“. <strong>Faust</strong>s Behauptung, er<br />

habe mit den Johannitern in Hallestein zu tun, war sie be<strong>im</strong> Prior etwa auf Unglauben<br />

gestoßen? Im Allgemeinen genügt es sich einmal vorzustellen. Ob nun der Prior sich<br />

die Behauptung wiederholen ließ oder ob <strong>Faust</strong> sich genötigt sah, die Behauptung zu<br />

bekräftigen, da er die Zweifel <strong>des</strong> Priors spürte, es sei dahin gestellt. Umso<br />

erstaunlicher, dass der Prior <strong>im</strong> Nachhinein nicht mehr wusste, ob sein Besucher sich<br />

nun als Komtur oder als Lehrer ausgegeben hatte.<br />

Darf man daraus schließen, dass <strong>Faust</strong> ihn leicht verwirrt zurückließ? Oder drückt sich<br />

in der nachlässigen Formulierung „Komtur oder Lehrer“ nur ein weiteres Mal der Spott<br />

<strong>des</strong> Priors aus?<br />

Prior Leib ist ein hoch gebildeter und obendrein welterfahrener Mann.<br />

1471 in Ochsenfurt geboren, besuchte er Schulen in Schweinfurt und Eichstätt, und<br />

trat <strong>im</strong> Jahr 1486 in das Augustiner-Chorherrenstift Rebdorf ein. Das Kloster lebte<br />

wieder streng nach alten Regeln, der Fünfzehnjährige erlebte Mönche, die selbst arm<br />

und asketisch lebten, die Liturgie und Chorgebet pflegten, die trotz Buchdruck sich<br />

noch <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Abschreiben von Büchern übten. Mit sechsundzwanzig Jahren wurde<br />

er zum Priester geweiht, zwei Jahre darauf zum Prior <strong>im</strong> Tochterstift Schamhaupten<br />

berufen, um dann 1503 das Amt eines Priors von Rebdorf wahrzunehmen; ein Amt,<br />

das er bis zu seinem Tod <strong>im</strong> Jahr 1553 inne hatte.<br />

Prior Leib war nicht nur ein begabter Ökonom, mit den Gewinnen <strong>des</strong> Stifts betätigte<br />

er sich auch als Kreditgeber. Verständlich, dass er bei seinen Befähigungen auch als<br />

Visitator unterwegs war. Neben den kirchlichen Aufgaben pflegte er Freundschaft und<br />

Briefwechsel mit Willibald Pirckhe<strong>im</strong>er, und, nachdem er neben Griechisch und Latein<br />

auch Aramäisch beherrschte, die Bibel <strong>im</strong> Original zu lesen verstand, die Quelle<br />

selbst, wie es dem humanistischem Bildungsideal entsprach, durfte er es sich gefallen<br />

lassen, dass ihn Pirckhe<strong>im</strong>er der „doctrina trilinguis“, einer dreisprachigen Gelehrsamkeit<br />

rühmte. Kompetent wie er war, kritisierte Prior Leib die lateinische<br />

Übersetzung <strong>des</strong> Neuen Testaments, wie Erasmus von Rotterdam sie vorgenommen<br />

hatte.<br />

Persönlich arm, teilte er anfangs Luthers Kritik an der Kirche, um ihn jedoch bald<br />

darauf in vielen Schriften als „Ketzer“ anzugreifen. Er wandte sich gegen Luthers Anti-<br />

Bauernschrift „Wider die räuberischen Rotten“; er machte Luther für den Bauernkrieg<br />

verantwortlich. Ihm zur Seite polemisierten Johannes Cochläus und Johann Eck gegen<br />

Luther.<br />

Prior Kilian Leib war auch ein Mensch mit persönlichem Mut, aufständischen Bauern<br />

war er <strong>im</strong> Ordensgewand entgegen getreten.<br />

Prior Leib war Humanist, er war gebildet, er fühlte sich der Antike verbunden, er lebte<br />

aber auch die alten kirchlichen Ideale, die Marienverehrung, die klösterliche<br />

Lebensweise und er war militant religiös. Als Berater begleitete er 1530 den<br />

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