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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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Camerarius war gleichfalls Astrologe. Dass seine Kunst dabei nicht an jene <strong>des</strong> <strong>Faust</strong>s<br />

heranreichte, muss ihm offenkundig be<strong>im</strong> Abfassen <strong>des</strong> Briefes, als er förmlich um die<br />

Erkenntnisse <strong>des</strong> <strong>Faust</strong>s bettelte, also bereits <strong>im</strong> Jahr 1536 klar gewesen sein. Dabei<br />

war Joach<strong>im</strong> Camerarius nicht irgendjemand, er war ein umfassend gebildeter<br />

Mensch. Als Erasmus von Rotterdam 1536 verstirbt, tritt Camerarius <strong>des</strong>sen<br />

Nachfolge als der unbestritten führende Philologe Deutschlands <strong>des</strong> 16. Jhdts an. Sein<br />

Lebenswerk umfasst allein 150 Bücher.<br />

Dass es mit den astrologischen Kenntnissen <strong>des</strong> Camerarius nicht weit her ist, <strong>im</strong> Jahr<br />

1547 wussten es dann auch die übrigen Gebildeten. 1547 traf die Nachricht von der<br />

Ermordung Philipp von Huttens in Deutschland ein.<br />

Philipp von Hutten hatte auch bei Camerarius ein Reisehoroskop bestellt. Und<br />

Camerarius hatte sein Reisehoroskop für Philipp in seiner Schrift „Aeolia“ publiziert;<br />

die Prognose lautete auf eine Rückkehr in Gesundheit und, dass Philipp so berühmt<br />

wie kein anderer in Deutschland sein werde.<br />

Wir wissen nicht, welchen „Wind <strong>des</strong> nichtigsten Aberglaubens“ <strong>Faust</strong> dem Stibarius in<br />

die Ohren säuselte, um seinen Lieferverzug zu begründen, eventuell deutschte er ihm<br />

auch die Kabbala (Mystik <strong>des</strong> Judentums) auf seine Art aus:<br />

„Jehuiah, der dreiunddreißigste Genius, durch <strong>des</strong>sen Anrufung man die Verräter<br />

erkennt, hält sich verborgen; das aber begünstigt Verwirrung und Aufruhr. Verzagt sei<br />

<strong>des</strong>halb Hakamiah, der sechzehnte Genius, der den Sieg verleiht. Gnädig schweigt<br />

Lanoiah, der siebzehnte Genius, unter <strong>des</strong>sen Herrschaft die Wissenschaften und<br />

Offenbarungen stehen. Erst wenn dieser das Tuch der Dunkelheit lüftet, werde man<br />

wieder in den Gestirnen lesen.“<br />

Der astrologischen Kunst <strong>des</strong> <strong>Faust</strong>s sind also Grenzen gesetzt, zumin<strong>des</strong>t wenn es<br />

um Ereignisse fern der He<strong>im</strong>at geht, in Venezuela oder auf den Schlachtfeldern in<br />

Italien.<br />

In Zusammenhang mit Johannes Virdung und seinen wundersam brauchbaren<br />

„Prognosen“ wurde bereits die Vermutung geäußert, dass Virdung Material seiner<br />

Agenten miteinfließen ließ.<br />

Auch <strong>Faust</strong> ist Agent – Agent in eigener Sache. Er reist viel, redet und diskutiert mit<br />

wichtigen Leuten, kennt Absichten, Pläne, Hoffnungen, Neigungen, selbstredend auch<br />

manche He<strong>im</strong>lichkeit.<br />

Auf welche Weise <strong>Faust</strong> an seine noblen Kunden kam? Einmal durch das sogenannte<br />

Schneeballsystem: Kunden, die er mit seiner Kunst überzeugt hatte, empfahlen ihn<br />

weiter bzw. stellten ihm Empfehlungsbriefe aus, <strong>des</strong>weiteren wurden einer vertrauenswürdigen<br />

Person auch Briefe mit auf den Weg gegeben, bzw. mündliche Botschaften<br />

aufgetragen. Es versteht sich, dass <strong>Faust</strong> einen Brief nicht der Küchenmagd <strong>des</strong><br />

Empfängers in die Hand drückte, sondern dem Empfänger persönlich und zu<br />

passender Stunde überreichte.<br />

Desweiteren hielten sich an einigen Fürstenhöfen bis zu hundert Vertreter <strong>des</strong> Adels<br />

auf. Mit einem Aufwand von täglich 100 Gulden wurden sie fürstlich gespeist und<br />

getunkt, den Gepflogenheiten der Zeit entsprechend hatten sie bereits „Mittags starke<br />

Räusche“. Ein höfisches Protokoll gab es noch nicht, man konnte einen guten Freund<br />

zur Tafel mitbringen, auch interessante Besucher waren willkommen.<br />

<strong>Faust</strong> musste also nicht unbedingt viel reisen, er musste gezielt reisen und sich nur<br />

noch dazu setzen. So kannte er sie gleichsam alle, kannte bei jedem „Geschäft“ auch<br />

die Gegenseite, konnte die Erfolgsaussichten eines Vorhabens beurteilen, wusste also<br />

gut zu raten.<br />

Nicht als Ratgeber, sondern als Astrologe; wie sollte er auch sonst zu seinem Geld<br />

kommen. Die Astrologie war eine aufwendige und teure Wissenschaft mit eigenen<br />

Honorarsätzen. Und das Geschäft blühte, die Kunden interessierten sich nicht allein<br />

für die eigenen Sterne, sondern auch für die ihrer Freunde, freilich auch für die ihrer<br />

Kontrahenten – von letzteren galt es auf dem Umweg über die Planeten deren Stärken<br />

und Schwächen „objektiv“ kennen zu lernen.<br />

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