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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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liefern, er befürchtet zum andern, dass Aufrührer und Schwärmer die der Reformation<br />

zugeneigten Fürsten wieder abspenstig machen könnten.<br />

Im Brief vom 14. Sept.1522 wendet sich Melanchthon scharf gegen alle Fanatiker<br />

(Storch, Müntzer, Karlstadt), er schließt: „Christus bekennen, heißt sein Kreuz tragen.“<br />

Womit Melanchthon sich nicht allein gegen gesellschaftliche Veränderungen stellt, er<br />

sieht den leidenden Menschen näher bei Gott als den Prasser und Protzer.<br />

Im Februar 1523 fertigte Melanchthon <strong>im</strong> Auftrag seines Fürsten ein erstes Gutachten<br />

über das „Widerstandsrecht christlicher Fürsten gegen den Kaiser“ an, wenige Tage<br />

später ein zweites. Melanchthon selbst hält von einem Widerstandsrecht wenig, er will<br />

den Kaiser nicht herausgefordert sehen, folglich gibt er es auch seinem Fürsten <strong>im</strong><br />

Gutachten zu lesen: „Das Leiden stehe einem Christen ohnehin besser an.“<br />

Kaiser, Fürsten, Adel und Volk, das ist die überkommene Hierarchie und auch<br />

Melanchthons weltliche Ordnung. Aus dem Brief <strong>des</strong> Apostels Paulus an die Römer<br />

führt er den Beweis, diese Ordnung ist gottgewollt.<br />

Anders formuliert: Das Volk hat zu gehorchen, Anspruch auf einen einsichtigen<br />

Fürsten erwirbt es durch sein gottgefälliges Wohlverhalten jedoch nicht.<br />

Wobei die Protestanten der angesehenen Stadt Straßburg es sich jedoch nicht<br />

nehmen ließen, Luther und Melanchthon wegen jener „Obrigkeits-Paragraphen“<br />

hartnäckig zu attackieren.<br />

Dreißig Jahre später, um 1550, wird Melanchthon auch den Widerstand gegen<br />

Tyrannei und unberechtigte Steuern für zulässig erachten. Eine Auffassung, freilich<br />

rein theoretischer Art, die er auch nicht öffentlich vertritt, sondern in einem privaten<br />

Schreiben äußert. Dass er sich jedoch überhaupt in dieser Richtung äußert, lässt<br />

aufhorchen.<br />

Es findet sich in „MBW“ das Dokument 9211. Wenngleich vom Inhalt her eine Rarität<br />

<strong>im</strong> Fundus, es macht beinah glauben, dass die an sich verdächtig griffige Bezeichnung<br />

„Fürstenknecht“, doch zu einfach sei.<br />

Ein gewisser Keyser in Malitzschkendorf hatte gemeldet, dass der Bauer Anton<br />

Mickarth <strong>im</strong> Filialdorf Jagsal, Untertan <strong>des</strong> Hans von Stauchwitz, ein Brot anschnitt,<br />

worauf Blut aus dem Brot lief. Auf Anraten seiner Tochter wusch er sich die Hände,<br />

doch es lief weiterhin Blut aus dem Brot. Hans von Stauchwitz hatte <strong>im</strong> Beisein von<br />

Keyser den Bauern befragt, beide bitten um ein Gutachten über die Bedeutung dieses<br />

Vorfalls. (Vermutlich handelte es sich um einen älteren Laib, der mit Mikroben der Art<br />

Micrococcus prodigiosus besiedelt war.)<br />

Nachdem Melanchthon durch die Betreung von Gästen verhindert ist, antwortet Paul<br />

Eber für Melanchthon: „Das blutende Brot bedeutet Blutvergießen als Strafe für<br />

Missachtung der irdischen und h<strong>im</strong>mlischen Gaben Gottes. Es ist eine besondere<br />

Warnung an die Adligen, die ihre Untertanen aussaugen.“<br />

Ein härenes Gutachten, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen lässt, allerdings nicht<br />

für den Bauern Anton Mickarth angefertigt.<br />

Das Urteil, Melanchthon sei ein Fürstenknecht gewesen, wird durch „MBW“ nicht<br />

widerlegt. Für Melanchthon gab es ein gottgewolltes Verhältnis der Unterwerfung: Der<br />

Untertan schuldet seinem Lan<strong>des</strong>herrn Gehorsam, der Lan<strong>des</strong>herr schuldet als „Pater<br />

familiae“ seinem Untertan Fürsorge. Daran hielten die Lan<strong>des</strong>herren sich allerdings<br />

nicht, statt Fürsorge zu üben, verschärften sie die Gesetze und pressten Steuern.<br />

Melanchthons Empörung über die selbstherrliche Pflichtvergessenheit der Fürsten<br />

beschränkte sich auf den Ausfluß <strong>im</strong> Briefwechsel – zuvorderst mit Camerarius, seine<br />

Frustration und Trauer kompensierte er durch Studien.<br />

Es ist bezeichnend für die Vorgehensweise der protestantischen Fürste und Städte in<br />

jenem Jahrzehnt, dass zwischen den ersten Überlegungen zum Widerstandsrechts<br />

gegen den Kaiser, um sich vor sündhafter Religionsausübung zu schützen, bis zur<br />

Gründung einer Militärallianz <strong>im</strong> Jahr 1531, acht Jahre liegen; Warten, Sondieren,<br />

Taktieren, ein Spiel für das es kein Drehbuch gab, aber kalte Nerven brauchte. Ein<br />

Spiel, das allerdings abrupt und mit einem Paukenschlag endet: Die Protestanten<br />

schließen sich zu jener Militärallianz, dem Schmalkaldischen Bund, zusammen.<br />

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