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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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Ungeachtet ihres Alters saßen die Buben in einem Raum. Lediglich 20 Familien zu<br />

Grunde gelegt, die nur jeweils ein Kind unterrichten ließen, in Anbetracht der Situation,<br />

dass Tausende von Scholaren damals bereit waren, für ein kleines Entgelt Unterricht<br />

zu erteilen, dann darf man durchaus sagen, die Kosten <strong>des</strong> Schulbesuchs waren unerheblich.<br />

Bedenkt man <strong>des</strong> Weiteren, dass Knittlingen damals wesentlich bedeutsamer<br />

als Bretten war, dann wäre es sogar höchst verwunderlich, falls in Knittlingen keine<br />

Lateinschule existiert hätte.<br />

Abgesehen von der Knittlinger Situation, Philipp Melanchthon konnte seine<br />

Vorstellungen vom Unterricht humanistischer Lehrinhalte auch <strong>des</strong>halb so schnell<br />

zwischen 1526 und 1530 in die Praxis umsetzen, weil bereits ein dichtes Netz von<br />

Lateinschulen in den Landschaften existierte.<br />

Zur Ausbildung einer Lateinschule gehörten Lesen, Schreiben, ein wenig Rechnen und<br />

Latein; Latein war gleichsam die erste Schriftsprache. Die Ausbildung war mit dem<br />

zwölften Lebensjahr beendet. Mit Latein, der internationalen Gelehrtensprache, stand<br />

<strong>Faust</strong> zumin<strong>des</strong>t theoretisch alles offen, was damals unter Bildung verstanden wurde.<br />

Erasmus von Rotterdam (1466? – 1536), eine Generation älter als <strong>Faust</strong>, schrieb nur in<br />

Latein, Deutsch als Buchsprache wurde erst mit Luthers Schriften um 1520 üblich.<br />

„Aber der kleine <strong>Faust</strong>, … das war doch ein Gerlach-Bankert!“<br />

Abgesehen davon, dass <strong>des</strong> Lebens Pfade verschlungen genug sind, um entgegen der<br />

Regel selbst einem unehelichen Kind den Besuch einer Lateinschule zu gewähren, die<br />

Etikettierung „Gerlach-Bankert“ basiert auf einer Annahme. Sie gründet auf die<br />

Auffindung <strong>des</strong> merkwürdigen „Giftschranks <strong>des</strong> Doktor <strong>Faust</strong>us“ auf der einstigen<br />

Hofstelle der Gerlachs. Solange die Umstände <strong>des</strong> Schranks nicht geklärt sind, ist die<br />

Annahme, <strong>Faust</strong> sei ein Gerlacher gewesen, eine grundlose Spekulation.<br />

Es ist denkbar, dass <strong>Faust</strong> einer Liebelei zwischen Magd und Knecht entstammte.<br />

Ebenso ist denkbar, <strong>Faust</strong> kam aus einer ärmlichen Familie. Für den Fall, dass Vater<br />

<strong>Faust</strong> kein Bauer war und auch keine Werkstatt betrieb, das Städtchen bot<br />

Möglichkeiten <strong>des</strong> Broterwerbs: Eine Tätigkeit <strong>im</strong> Gerichtswesen, in der Stadtverwaltung<br />

oder als Bediensteter <strong>des</strong> Pfleghofes, auch Kameralamt genannt. Das<br />

Kloster Maulbronn ließ über den Pfleghof die Frondienste verwalten, die Steuern und<br />

den Zehnten einziehen. Im Pfleghof waren auch das Schutzkommando und der<br />

Straßendienst untergebracht. Auf die Einrede, dass eine ärmliche Familie den Sohn<br />

wohl kaum auf eine Lateinschule schickte, sind wiederum ein Dutzend Antworten<br />

möglich.<br />

Gerade weil der Vater eventuell <strong>im</strong> Pfleghof nur eine unbedeutende Arbeit hatte, wird<br />

er seinem Sohn etwas Besseres für <strong>des</strong>sen Zukunft gewünscht haben. Wer weiß, wie<br />

emsig der Vater sich genehm zu machen wusste, wie er das freundliche Gespräch mit<br />

seinen Vorgesetzten, mit den Vertretern <strong>des</strong> Klosters, suchte, um diese eine Vergünstigung<br />

für seinen Sohn herauszuschlagen.<br />

Und gesetzt den Fall, <strong>Faust</strong> wäre tatsächlich der uneheliche Sohn eines betuchten<br />

Bürgers gewesen, dass dieser Vater seinen zur linken geborenen Sprössling unterrichten<br />

ließ, hat seine Plausibilität auf der psychologischen Schnittlinie von Erzeugerstolz<br />

und schlechtem Gewissen. Es ist ein Wiedergutmachen und zugleich Kniefall vor<br />

der Macht eigener außerehelicher Lendenlust. Auch galt es einen Ansehensverlust<br />

wettzumachen.<br />

Bei dem damals gepflegten autoritären Unterrichtsstil könnten die Lateinkenntnisse mit<br />

Ende <strong>des</strong> Besuchs der Lateinschule durchaus gediegen gewesen sein.<br />

So viele Antworten denkbar sind, wie ein kleiner armer Johann Georg <strong>Faust</strong> entgegen<br />

den damaligen Gepflogenheiten dennoch in den Genuss einer Lateinschule kam,<br />

spätestens mit Ende <strong>des</strong> Besuchs einer Lateinschule tut sich ein „schwarzes Loch“ auf.<br />

Ein Student musste damals, um überhaupt sein eigentliches Studium aufnehmen zu<br />

dürfen, zunächst den Fächerkanon <strong>des</strong> Trivium pauken. Das Trivium schloß mit<br />

Prüfungen in Dialektik, Grammatik und Rhetorik. Sodann folgte das Quadrivium mit den<br />

Studien der Geometrie, Arithmetik, Musik und Astronomie. Sobald ein Student auch in<br />

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