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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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ihre persönlichen Eindrücke einer höheren Lehrmeinung und Autorität unterwerfen, das<br />

bleibe dahin gestellt.<br />

Doch offenbar gab es bereits zu <strong>Faust</strong>s Lebzeiten sowohl den einen und dann noch<br />

den anderen <strong>Faust</strong>, also „<strong>Faust</strong>. Und <strong>Faust</strong>“. Denn Begardi <strong>im</strong> katholischen Worms<br />

notierte – etwa ein Jahr vor <strong>Faust</strong>s Tod – in seinem „Index Sanitatis“ rein gar nichts von<br />

einem teuflischen <strong>Faust</strong>, er heißt ihn einen Betrüger.<br />

Die Protestanten sahen <strong>Faust</strong> nur noch durch eine ideologische Brille; der Manlius-Text<br />

von 1563 findet in keinem einzigen Punkt eine direkte Bestätigung durch die Quellentexte,<br />

es lassen sich nur einige Entsprechungen feststellen.<br />

Nach Manlius wurden dann erste „<strong>Faust</strong>abenteuer“ schriftlich gefasst, sie bildeten<br />

später das Ausgangsmaterial für den „Belehrungshammer“ von 1587, die „Historia“.<br />

Neben diesen <strong>Faust</strong>-Geschichten wurde weiteres Material mit hinein verwoben:<br />

Johannes Aurifaber: Tischreden D. Martin Luthers<br />

Johann Weier: De Praestigiis Daemonum<br />

Sebastian Brant: Das Narrenschyff<br />

Hartmann Schedel: Buch der Croniken<br />

Hans Sachs: Lobspruch der statt Nürnberg<br />

Elucidarius<br />

Augustin Lerche<strong>im</strong>er: Ein Christlich Bedencken vnnd Erjnnerung von Zauberey<br />

Johannes Manlius: Locorum Communium<br />

u. v. a. m., aufgeführt in Reclam „1516“.<br />

Dass die Inhalte <strong>des</strong> Trithemius-Briefes sowie <strong>des</strong> „Index Sanitatis“ dabei unterschlagen<br />

werden, dokumentiert zum einen, wie weit <strong>Faust</strong> bereits aller realen Bezüge<br />

entkleidet ist. Dass selbst das „Kundling“ <strong>des</strong> hochangesehenen Melanchthon ignoriert<br />

wird, <strong>Faust</strong> statt<strong>des</strong>sen seinen ersten Schrei in Roda bei We<strong>im</strong>ar tut, zeigt die<br />

Entschlossenheit <strong>des</strong> Autors, nun eine <strong>Faust</strong>figur zu formen, die gültig für jedermann<br />

und an welchem Ort auch <strong>im</strong>mer, theologisch zum Einsatz gebracht werden kann.<br />

Dass die Lutherische Kirche – der Drucker Johann Spies fertigte vornehmlich Schriften<br />

der lutherischen Kirche, dabei <strong>Faust</strong>s Geburt und Tod, aber auch sein Wirken an der<br />

Universität von Wittenberg, allesamt auf urprotestantischem Boden passieren lässt, hat<br />

als Ursache, dass sie über „<strong>Faust</strong>“ die Deutungshoheit beanspruchte.<br />

In diesem Zusammenhang wäre es interessant zu wissen, ob die nachfolgenden Bearbeitungen<br />

der „Historia“ allein durch protestantische Autoren vorgenommen wurden,<br />

bzw. wie sich das Verhältnis protestantischer zu katholischen Autoren prozentual<br />

darstellt und wie sich dieser Prozentsatz in der Folgezeit veränderte.<br />

Zweifelsohne war der Autor der „Historia“ nicht nur ein gebildeter Mensch, er wusste<br />

auch einen literarischen Handlungsbogen zu spannen. Was die Philologen erstaunt, ist<br />

einmal, dass sie den Autor bis heute nicht identifizieren konnten, zum andern, dass sie<br />

unter den verwendeten Büchern kein Werk eines Autors der Antike nachzuweisen<br />

wussten. Bis auf die „Paktlehre“ – die Idolatrie <strong>des</strong> Kirchenlehrers Augustinus wurde<br />

auch von Luther übernommen, besteht der Ausgangsfundus aus deutschen Büchern.<br />

Der Erfolg der „Historia“ gründete wohl darauf, dass der Autor vielfältige Leserinteressen<br />

bediente. Er bescheinigte <strong>Faust</strong> eine ungewöhnliche Intelligenz, Voraussetzung,<br />

um eine erregende Fallhöhe zu schaffen. Über das „Buch der Croniken“ wird<br />

der Leser auf eine interessante Welt- und Bildungsreise mitgenommen, und was die<br />

Geschäfte <strong>des</strong> Teufels angeht, der Leser erhält einen schonungslos Einblick.<br />

Unfein ausgedrückt, die „Historia“ war neben anderem auch die amtlich zugewiesene<br />

Schmuddelkabine einer satanischen Peepshow.<br />

Freilich war sie auch ein „Beichtspiegel“, anhand <strong>des</strong>sen die Glaubenskinder sich vorab<br />

mit dem Metier vertraut machen konnten; für den Fall, dass sie eines Tages vor dem<br />

Hexenrichter standen, verfügten sie über gute Kenntnisse.<br />

1597 gibt Augustin Lerche<strong>im</strong>er eine erweiterte Ausgabe seines „Christlich Bedencken<br />

vnnd Erjnnerung von Zauberey“ zum Druck. Im eingefügten Kapitel beschwert er sich<br />

über die „Historia“. Jener, der sie in Umlauf gebracht habe, sei ein „Lecker“ (Windbeutel).<br />

Dass <strong>Faust</strong> in Roda bei We<strong>im</strong>ar geboren, in Wittenberg den Doctor Theologiae<br />

gemacht und <strong>im</strong> Dorf K<strong>im</strong>lich bei Wittenberg erwürgt wurde, das alles sei erlogen. Es<br />

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