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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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Dennoch, der erhalten gebliebene Briefwechsel Melanchthons ist lückenhaft, und<br />

gewiss nicht zuletzt ist keineswegs auszuschließen, dass Melanchthon bei seinem<br />

Besuch in Tübingen um seine Meinung in der Sache „Maulbronn“ gebeten wurde;<br />

Melanchthon darf wohl als der scharfsinnigste Mensch seiner Zeit bezeichnet werden.<br />

Es wird <strong>im</strong> Essay „Melanchthons Briefwechsel“ noch deutlich werden: Ob<br />

angestammtes Recht, überkommene Sitte oder Gesetz, einen Vertrag oder auch eine<br />

Urkunde, was ein Melanchthon nicht zerpflücken und zerzupfen konnte, um es außer<br />

Kraft zu setzen oder <strong>im</strong> gewünschten Sinn neu zu interpretieren, das gab es nicht.<br />

Der Zeitpunkt seines Besuchs <strong>im</strong> Jahr 1536 fügt sich trefflich in den zeitlichen<br />

Bedarfsrahmen der gestellten Frage. Das Augenmerk richte sich dabei auf jene 20<br />

Tage in Tübingen, die Zeit zwischen dem 24. Sep. und dem 14. Okt. 1536.<br />

Mit wem führte Melanchthon Gespräche? Worüber wurde gesprochen?<br />

Abseits von einem gehe<strong>im</strong>en Gespräch mit Herzog Ulrich gehörte das Gros der<br />

Gesprächspartner Melanchthons wohl der Tübinger Universität an. Nicht allein<br />

<strong>des</strong>halb, weil sie ebenfalls gebildet waren, Melanchthon hat den Auftrag die<br />

Neustrukturierung der Universität voranzubringen. An einer Universität fanden sich<br />

damals auch jene Juristen, die den Willen <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>herrn in Gesetzestexte gossen,<br />

also auch jene Erlasse und Verordnungen formulierten, die es brauchte, um die<br />

Reformation Württembergs umzusetzen. Traf Melanchthon an der Universität von<br />

Tübingen also auf jene Juristen, die den Streit mit dem Kloster Maulbronn führten?<br />

Das min<strong>des</strong>te was man in diesem Fall unterstellen darf, dass Melanchthon mit<br />

Camerarius und einigen der beteiligten Juristen in zwangloser Runde zusammen saß<br />

und mit ihnen auch den Fall „Maulbronn“ erörterte. Wobei sein Interesse an dem<br />

Streitfall nicht einmal dienstlicher Natur gewesen sein muss, der komplexe<br />

Sachverhalt reizte ihn – ein scharfsinniger Mensch braucht das Komplizierte. Die<br />

Abschriften der entscheidenden Urkunden lagen auf dem Tisch, gutmöglich hat<br />

Melanchthon sich der einen oder anderen Formulierung in den Papieren persönlich<br />

vergewissert und war dabei auf jenes „Kuntlingen“ gestoßen.<br />

Für den Fall, dass sich die Herkunft <strong>des</strong> „Kundling“ derart erklärte, darf man<br />

Melanchthon ein gutes Maß an Ironie bescheinigen; als Schutz und Schirm vor<br />

protestantischen Voyeuren breitete er über das zwangsreformierte Knittlingen ein<br />

Pergament aus päpstlicher Hand.<br />

Was das gehe<strong>im</strong>e Gespräch zwischen Philipp Melanchthon und Herzog Ulrich angeht,<br />

so bezweifelte Heinz Scheible bei jenem Telefonat, dass dabei die Reformierung <strong>des</strong><br />

Klosters das best<strong>im</strong>mende Thema war.<br />

In „MBW“ Band 10 bleibt das gehe<strong>im</strong>e Gespräch unerwähnt. Nachdem der Autor<br />

bereits in hohen Jahre ist, habe ich auf die Klärung der „Lücke“ verzichtet; sie erklärt<br />

sich vermutlich dadurch, dass die Information über ein gehe<strong>im</strong>es Treffen nicht<br />

Melanchthons Briefverkehr entstammt, sondern einer anderen Quelle.<br />

*<br />

<strong>Faust</strong> tritt auf – <strong>im</strong>mer situationsgerecht<br />

In keinem der Quellentexte tritt <strong>Faust</strong> als ein Knittlinger in Erscheinung; zwar schmückt<br />

er sich mit vielen tönenden Beinamen, „Kundlingensis“ ist nicht darunter.<br />

Magister, Georgius <strong>Faust</strong>us Helmitheus Hedelbergensis, Philosoph, Philosoph der<br />

Philosophen, Doctor <strong>Faust</strong>us philosopho, Doctor Jörg <strong>Faust</strong> von Haidlberg, Georgius<br />

<strong>Faust</strong>us helmstet, Komtur oder Lehrer der Johanniter bei Hallestein.<br />

So lauten die Titel, mit denen er sich in den Quellentexten vorstellt, bzw. er von andern<br />

betitelt wird.<br />

Der Titel „Philosoph“ ist gleichsam die Grundausstattung, er bedeutet, dass <strong>Faust</strong> sich<br />

als einen gebildeten Mensch betrachtet. Um als gebildet zu gelten, war kein Besuch<br />

einer Universität zwingend, man konnte sich auch in privaten Studien gebildet haben.<br />

Auch Alchemisten galten als „Philosophen“; als Alchemist konnte übrigens jeder tätig<br />

werden, vorausgesetzt er hatte selbst das Kapital oder eben einen Auftraggeber.<br />

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