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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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über die Türken, über den Papst, er will wissen, ob der Kaiser siegt. Das, was<br />

Paracelsus in den Sternen liest, sind „Nugae“: „under den gelerten vil unwillens“ sein<br />

wird, „gegen dem Volk vil ubels erwachsen“ wird.<br />

Senkte Melanchthon doch nur den Blick in seinen eigenen Schriftverkehr!<br />

In seinem Brief vom 21.8.1537 an Friedrich Myconius in Gotha steht u. a. zu lesen:<br />

Täglich erwachsen ihm neue Feinde. / Cordatus und Anhang haben den Pfarrer von<br />

Zwickau zu öffentlicher Rede gegen ihn entflammt. / Jakob Schenck in Freiberg bereitet<br />

ebenfalls Angriffe gegen ihn vor. / Er verteidigt seine Lehre von den guten Werken und<br />

seine maßvolle Philosophie.<br />

Paracelsus musste nicht in den Sternen lesen, er musste nur in die Zeit hinaus<br />

lauschen, um festzustellen, dass eine Radikalisierung der Protestanten <strong>im</strong> Gange war:<br />

In Augsburg wetterten seit einigen Monaten die protestantischen Prediger gegen das<br />

Tanzen, Tafeln und Wuchern, <strong>im</strong> traditionell evangelischen Nürnberg kreischten<br />

vermehrt die Falken gegen Melanchthon an.<br />

Dass Paracelsus seine Befürchtungen astrologisch verbrämte - nichts Besseres konnte<br />

er in jener Zeit tun; die Sprache der Sterne hatte Gewicht.<br />

Melanchthon nahm Paracelsus also doch ein wenig zur Kenntnis, wenn auch – analog<br />

zu <strong>Faust</strong>, in Verächtlichkeit: „Nugae!“<br />

Es ist sicherlich nicht zu hoch gegriffen, anzunehmen, dass nach acht Tagen Aufenthalt<br />

an die fünfhundert Personen <strong>Faust</strong> in Erfurt erlebt haben; ihn nicht allein gesehen,<br />

sondern ihn aus der Distanz weniger Schritte beobachtet, ihm zugehört, ihm ins<br />

Gesicht geschaut haben.<br />

Mag sein, dass die Gebildeten, die Humanisten, in einem Elfenbeinturm lebten, <strong>im</strong><br />

Vakuum lebten sie <strong>des</strong>halb nicht. Da gab es Studenten, die den Professor nach seiner<br />

Meinung über <strong>Faust</strong> befragten und auch so mancher Nachbar oder dienstbare Geist,<br />

die den Professor bereits länger kannten, werden sich gelegentlich ein Herz gefasst<br />

und sich mit einer Frage in Sachen „<strong>Faust</strong>“ an den hochgestellten Herrn gewagt haben.<br />

Ganz abgesehen davon, Menschen, die derart stolz auf ihre Bildung sind, sie müssen<br />

sich mit <strong>Faust</strong> beschäftigt haben, <strong>Faust</strong> brüskierte und verletzte sie laufend in ihrem<br />

Stolz und Dünkel. Die Tatsache, dass sie sich mühevoll Sprachkenntnisse und anderes<br />

Wissen mehr angeeignet und sich dennoch gegen ihn nicht wehren können, ist nicht<br />

hinnehmbar, es ist unerträglich. Schl<strong>im</strong>mer noch, dieser Mensch machte sich gemein<br />

mit der „Ru<strong>des</strong>“ und saß <strong>im</strong> nächsten Moment bei einem Domherrn Stibarius oder gar<br />

be<strong>im</strong> Fürstbischof von Bamberg am Tisch. Wo waren da noch Würde, Anstand und<br />

Auftreten? Was fiel diesem Mensch ein, das Unterste nach oben zu kehren, die Welt<br />

auf den Kopf zu stellen? Anstatt sich mit ihnen auszutauschen, behielt er sein Wissen<br />

für sich!<br />

Offenkundig doch allein <strong>des</strong>halb, damit es für ihn kein Oben und kein Unten mehr gab.<br />

„Derselbige <strong>Faust</strong>us der Zeuberer / vnnd ungeheurig Thier / ein Scheisshaus vieler<br />

Teufel / rhümete vnuerschemet / das alle Siege / die Keyserlicher Maiestet Kriegsuolck<br />

in Welschland gehabt hetten / die ware durch jhn mit seiner Zauberey zuwegen<br />

gebracht worden. Das ist eine erstunckene lügen / vnd nicht war. Solches sage ich<br />

aber von wegen der gemeinen jugent / auff das sie sich nicht von solchen losen<br />

Leuten verfüren vnd vberreden lassen.“<br />

Als Philipp Melanchthon sich zu diesem wilden Ausfall gegen <strong>Faust</strong> hinreißen ließ, ist<br />

ihm der besagte Gaul durchgegangen.<br />

Zu jenem Zeitpunkt war <strong>Faust</strong>, der Teufelshurer, bereits ordnungsgemäß vom Teufel<br />

liquidiert worden; Melanchthon durfte hoch zufrieden sein. Was störte ihn also noch?<br />

Wütete hier der überzeugte Lutheraner oder der veraffte Bildungsträger? Bei allem<br />

Zorn, es spricht pure Ohnmacht aus diesen Zeilen. Die hohe Emotion in Melanchthons<br />

Vortrag lässt den Schluss zu, das Thema „<strong>Faust</strong>“ muss Melanchthon sehr beschäftigt<br />

haben, und zwar mehr, um es in seinem Herz-Jesu-Kämmerlein mit sich allein<br />

auszumachen.<br />

Die Zahl der Hochgebildeten belief sich in Deutschland damals auf etwa 250 Personen.<br />

Sie bildeten verschiedene Kreise, die Kreise standen miteinander in Kontakt, sowohl<br />

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