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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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Gesichtern“ geradezu nur so geschüttelt wurde, der sich unentwegt einem<br />

emotionalen Ausnahmezustand ausgesetzt sah.<br />

War er gar ein Sonderling, ein Mystiker, ein Heiliger?<br />

Im Essay „<strong>Faust</strong> tritt auf“ ist umfassend dargestellt, wie <strong>Faust</strong> sich mit den jeweils<br />

erforderlichen Titeln ausrüstet, wie er seine Reden situationsgerecht zu führen weiß;<br />

nichts, was auf einen Sonderling oder einen Mystiker deutet, aber auf einen Mensch,<br />

der fest mit beiden Beinen auf der Erde steht.<br />

Gedanken zu lesen, ist mit wenig persönlicher Emotion verbunden, es ist mehr eine<br />

Eigenschaft denn eine Befähigung, von „berührt werden“ oder einer Erregung ganz zu<br />

schweigen.<br />

Man darf <strong>Faust</strong> unterstellen, dass er die volle Bandbreite der vorausgenannten<br />

medialen Mittel einmal für sich behauptete, um die allgemeine Aufmerksamkeit auf<br />

sich zu lenken, dazu gab er bei seinen Auftritten vor, sich ihrer zu bedienen, um seiner<br />

Kundschaft etwas Sichtbares zu bieten.<br />

Im Wirtshaus studierte er in einer Schüssel das sich spiegelnde Wasser, auf dem<br />

Marktplatz musterte er das Spiel der Wolken, auf einer Burg starrte er gebannt in das<br />

offene Kaminfeuer. Seine Kundschaft erlebte gleichsam „konkrete Wissenschaften“.<br />

Und eventuell und vielleicht gar nicht zuletzt, täuschte <strong>Faust</strong> die Verwendung medialer<br />

Mittel allein <strong>des</strong>halb vor, um innerhalb jener bekannten magischen Künste zu bleiben,<br />

von denen allgemein geredet wurde. Anders gesagt, seine Fähigkeit Gedanken zu<br />

greifen war derartig stark ausgeprägt, er brauchte weder spiegeln<strong>des</strong> Wasser noch<br />

zuckende Flammen und auch keine treibenden Wolken. Aber die Titel, die sich mit<br />

diesen mediumistischen Mitteln verbanden, ließen sich zu einer prachtvollen, gerade<br />

feudal anmutenden Titel- und Würdenkette verknüpfen. Nicht anders die Anwendung<br />

der Astrologie. Nicht so zu verstehen, dass er vom astrologischen Handwerk nichts<br />

verstanden hätte, doch vermutlich hätte er gut darauf verzichten können.<br />

Begardi berichtet, <strong>Faust</strong> habe sich auch in der Kunst der „Visionomei“ betätigt.<br />

„Visionomei“ n<strong>im</strong>mt für sich in Anspruch, dass der Mensch als ganzes, in seiner Statur,<br />

in seinen Gesichtszügen, eine Aussage über seine Fähigkeiten sowie eine Prognose<br />

über sein künftiges Leben zulässt. Aus dem Profil, aus den Proportionen von Stirn,<br />

Nase, Mund und Kinn, der Haltung <strong>des</strong> Kopfes, ließen sich Willenskraft, Charakter,<br />

Neigungen, und aus deren Summe die Zukunft ablesen.<br />

Richtig ist sicherlich, ein Arzt weiß, noch bevor der Patient sein Leiden geschildert hat,<br />

bereits einiges über seinen Patienten. Der Arzt hat Körperhaltung, Gesichtsausdruck,<br />

Hautverfärbungen oder gar eine gewisse Ausdünstung wahrgenommen.<br />

Doch aus der Statur, aus den Proportionen eines Menschen <strong>des</strong>sen Zukunft lesen zu<br />

wollen, man darf es als verwegen bezeichnen. Gleiches gilt für die Kunst <strong>des</strong><br />

Handlinienlesens; wir wissen, dass man die Zukunft eines Menschen nicht sehen<br />

kann. Man darf wohl annehmen, <strong>Faust</strong> hat auch mit Handlinienlesen und Visionomei<br />

dem Publikum „konkrete Wissenschaften“ vorgegaukelt.<br />

Wer schon einmal eine Wahrsagerin aufsuchte, weiß um den diffusen Brei von<br />

Aussagen, den man verabreicht bekommt. Eine Wahrsagerin betreibt in gewissem<br />

Sinn ebenfalls „Visionomei“. Der Kunde erschließt sich bereits in Teilen durch sein<br />

Auftreten, seine Kleidung, erst recht aber <strong>im</strong> Gespräch. Seine St<strong>im</strong>me, der Dialekt, die<br />

Wahl der Worte, der Problembereich, zu dem er genaueres wissen möchte, verraten<br />

seinen Bildungsstand, seine Art zu denken, seine Weltsicht.<br />

Dieses erste „Lesen“ eines Menschen anhand seines Auftretens bezeichnet man<br />

heute in der Wissenschaft als „Cold Reading“.<br />

So man Glück hat, findet man <strong>im</strong> verabreichten Zukunftsbrei einige vernünftige Ratschläge.<br />

Freilich gibt es Personen, sie schwören auf die Kunst ihrer Wahrsagerin. Was<br />

sie dabei übersehen, durch den fortgesetzten Kontakt hat die Wahrsagerin Kenntnisse<br />

int<strong>im</strong>ster Befindlichkeiten ihres Kunden gewonnen. Die Wahrsagerin ist zur Lebensberaterin,<br />

eventuell zur Therapeutin geworden. Das kann nützlich sein, es kann sich<br />

daraus auch eine unheilvolle Abhängigkeit entwickeln.<br />

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