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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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eröffnen. Den gewichtigsten Stein <strong>im</strong> Fundament protestantischer Geschichtschreibung<br />

legte allerdings nicht Melanchthon, sondern eben jener „Fürst Johannes“, er gab ein<br />

Bild bei Lucas Cranach d. Ä. in Auftrag. Das Gemälde ist jedermann wohl bekannt: Vor<br />

dunklem Hintergrund steht massig und zentral der Fürst in dunklem Gewand – sein<br />

Leibesumgang ist beträchtlich, um ihn gruppieren sich die Reformatoren: Luther,<br />

Melanchthon, Spalatin u. a.; deutlich kleiner dargestellt wirken sie wie Kinder, die sich<br />

um den Fürsten drängen. „Maria breit den Mantel aus, mach Schirm und Schutz für uns<br />

daraus!“ kommt einem bei der Betrachtung in den Sinn, ein Motto, das wohl auch die<br />

Vorgabe für den Maler war. Das Kinn <strong>des</strong> Fürsten ist der Welt entgegen gereckt, sein<br />

Blick ist schwermütig, abgründig lauernd. Die Botschaft: „Wer diesen Gelehrten etwas<br />

antun will, bekommt es mir mir zu tun!“ Als Johann Friedrich der Großmütige von<br />

Sachsen ging er in die Geschichte ein. „Großmütig“ <strong>des</strong>halb, „weil er die Universität<br />

von Wittenberg, Luther und den Protestantismus gefördert habe“.<br />

Ein Bild bewegt bekanntlich mehr Menschen, als je ein kluger Text es vermag. Bis<br />

heute ist das Gemälde die Essenz <strong>des</strong>sen, was die Allgemeinheit über die ersten<br />

protestierenden Fürsten und Stadträte zu wissen glaubt: Männer, fortschrittlicher<br />

Denkungsart, die Luther vor Papst und Kaiser schützten und seinen Reformen Raum<br />

gaben. Blättert man das Gemälde um, dann eröffnet sich der Blick auf eine gewaltige<br />

Umschichtung von kirchlichem Vermögen und Macht in weltliche Hände. Das, wovon<br />

Franz von Sickingen und auch die Bauern träumten, das nahmen sich jene Fürsten.<br />

Das Gemälde, ein durch und durch gelungener frecher Etikettenschwindel, der freilich<br />

notwendig war, denn um es mit Melanchthon <strong>im</strong> Jahre 1535 zu sagen, „ging es früher<br />

um die Macht der Päpste, heute geht es um das reine Evangelium.“<br />

*<br />

Narrenfreiheit für <strong>Faust</strong> – Blasphemie bleibt ungestraft<br />

„Würdig ausgepeitscht zu werden“ stellte Trithemius fest. „Gegen ihn sollten sich die<br />

Theologen erheben“ forderte Conradus Mutianus. Es gibt keinerlei Hinweise darauf,<br />

dass <strong>Faust</strong> ausgepeitscht wurde, noch dass sich Theologen gegen <strong>Faust</strong> erhoben<br />

hätten.<br />

Wie es <strong>Faust</strong> gelang, trotz seiner geradezu tollkühnen Aufsässigkeit und Respektlosigkeit,<br />

nicht allein gegenüber der Geistlichkeit, sondern genau betrachtet, letztlich<br />

gegenüber jedermann, nicht nur dem Scheiterhaufen zu entgehen, sondern auch sonst<br />

unbehelligt zu bleiben, es macht uns staunen, es erzeugt Kopfschütteln.<br />

„Sein Leben ist ein Skandal!“ möchte man sagen. Nun, wir wissen es nicht genau, wir<br />

nehmen es an. Diese Annahme ist das Produkt unserer Erfahrungen in der Gegenwart<br />

und <strong>des</strong>sen, was wir über das späte Mittelalter zu wissen glauben.<br />

Allen Überlegungen voran gestellt, man muss <strong>im</strong> Auge behalten, dass <strong>Faust</strong> eine<br />

Entwicklung durchmachte; ein derart hemmungsloses Auftreten, wie Trithemius es<br />

berichtet, steht für einen <strong>Faust</strong> <strong>im</strong> Alter von etwa fünfundzwanzig Jahren, und zwar in<br />

den „wilden Jahren“ vor Luther und vor dem Großen Bauernkrieg.<br />

Das Jahr 1525 war eine Zäsur, nicht nur <strong>im</strong> Leben <strong>Faust</strong>s, <strong>im</strong> Leben aller; der Wind<br />

begann härter zu blasen.<br />

Dennoch, ein für uns deutlicher Fall unterlassener Strafverfolgung ist der von <strong>Faust</strong><br />

vielfach geübte sexuelle Missbrauch von Minderjährigen in Kreuznach.<br />

Der Missbrauch von Minderjährigen gilt heute als Offizialdelikt, ein Delikt, <strong>des</strong>sen<br />

Verfolgung <strong>im</strong> Interesse aller Bürger ist und folglich den Staatsanwalt von sich aus aktiv<br />

werden lässt. Den Begriff <strong>des</strong> Offizialdelikts sollte es allerdings erst Jahrzehnte nach<br />

<strong>Faust</strong> geben, ebenso das Amt eines Staatsanwalts. Eine andere Möglichkeit der<br />

Strafverfolgung ist das so genannte Amtshilfeersuchen. Doch auch das Amtshilfeersuchen<br />

war aus praktischen Gründen noch kein Teil der Rechtspflege, man hätte an<br />

Hunderte von Gerichtsbezirken die Bitte um Festnahme eines gewissen Doktor<br />

<strong>Faust</strong>us richten müssen, ein je<strong>des</strong> Ersuchen hätte die Forderung einer wie auch <strong>im</strong>mer<br />

gearteten Gegenleistung nach sich gezogen. Die Stadt Kreuznach war damals ein<br />

eigener Gerichtsbezirk, eine übergreifende Polizeigewalt gab es nicht, man konnte also<br />

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