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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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über die Ost- und Nordsee bis England und die Niederlande, aber auch bis Straßburg<br />

und Basel transportiert zu werden. Neben den Waren fuhren Mensch und Nachrichten.<br />

Eine der Nachrichten war die Kunde von <strong>Faust</strong>s gewaltsamen Ende, sie hat deutlich<br />

Staub aufgewirbelt, die Gerüchteküche brodelte.<br />

In der Z<strong>im</strong>merischen Chronik heißt es: „Vil haben allerhandt anzeigungen und<br />

vermuetungen noch vermaint, der bös gaist, den er in seinen lebzeiten nur sein<br />

schwager genannt, habe ine umbbracht.“<br />

Dass der reformierte Pfarrer Gast nicht getreu berichtet, sondern „fabuliert“, braucht<br />

eine eigene Lesart.<br />

<strong>Faust</strong>, bereits zu Lebzeiten für alle Lutheraner der Inbegriff eines sündigen Menschen,<br />

war mit seinem Tod zum Inbegriff <strong>des</strong> verwerflichsten Menschen überhaupt geworden.<br />

<strong>Faust</strong> war nicht mehr nur der böse <strong>Faust</strong>, nun war er der verworfenste Mensch unter<br />

allen schlechten Menschen, die je über die Erde gegangen waren, der finsterste aller<br />

Finsterlinge, schwärzer als schwarz.<br />

War er vorher bereits abgeurteilt, fortan war er ausgestoßen.<br />

Bei Gast erfährt er zum ersten Mal eine Ehre, wie sie bis dato an sich nur den<br />

Gestalten der Bibel zuteil wird: Abraham, Moses, Hiob, Ruth…<br />

In ihrer Reihe steht nun auch <strong>Faust</strong>. Allerdings nicht unter ihnen, sein Platz ist ganz<br />

außen, am Rand der Bühne, dort, wo die Dunkelheit am schwersten lastet.<br />

Hätten die Lutheraner nicht die Kirchen <strong>des</strong> Schmucks, der Bilder und Figuren beraubt,<br />

man könnte formulieren: Dort in der Kirchenwand, dort war seit Menschengedenken<br />

noch eine Nische frei gewesen. Jetzt war sie besetzt.<br />

Für die Menschen <strong>des</strong> späten Mittelalters war die Bibel kein Produkt <strong>des</strong> Einst, die<br />

Erzählungen der Bibel passierten <strong>im</strong> Jetzt – alle zur selben Zeit. Der Mensch <strong>des</strong><br />

späten Mittelalters erlebte sie in seiner überschwänglichen Phantasie nicht nur als<br />

Mult<strong>im</strong>ediakino, sondern als Parallelwelten, gleich auf der anderen Straßenseite.<br />

Künstler, wie Grünewald oder Dürer, hatten kein Problem damit, die Menschen der<br />

Bibel mit den Menschen ihrer Zeit darzustellen. Frauen, Ratsherren, Söldner und das<br />

zerlumpte Fahrende Volk, sie finden sich Eins zu Eins in ihren Werken.<br />

Der Begriff „Zeit“ hat in der Bibel wenig Bedeutung. Moses, wann geboren, in welchem<br />

Jahr be<strong>im</strong> Pharao gewesen, wann gestorben? Was für unsinnige Fragen. Wichtig war<br />

allein, wofür Moses stand, was er in der Glaubenslehre repräsentierte.<br />

Gleiches gilt für Ortsangaben.<br />

Wo die Arche gestrandet, wo der Berg Horeb und das Rote Meer lag, jeder durfte sich<br />

vorstellen, was er wollte, allein der tiefere Sinn <strong>des</strong>sen, was dort passiert war, allein<br />

das war wichtig.<br />

<strong>Faust</strong> war zu <strong>Faust</strong> geronnen; Unsterblichkeit braucht keinen irdischen Datensalat.<br />

Die Bibel ist nur begrenzt als ein jüdisches Geschichtsbuch zu betrachten, es ist die<br />

Geschichte eines Volks und seinem Gott – verfasst von Priestern.<br />

Objektive Ereignisse waren die Knetmasse. Was uns erreichte, ist ein Produkt aus<br />

Fakten und der Suche nach dem Sinn der Ereignisse, der Suche nach Gott und seinem<br />

Willen. Freilich ist die Bibel auch ein Beleg für ein Machtmonopol bei der lehrhaften<br />

Ausdeutung von Ereignissen.<br />

„Gott aber sprach…“ ist ein <strong>im</strong>mer wieder kehrender Einschub, ein mahnender Fingerzeig<br />

auf Gott in den Ereignissen. Dazu werden Personen nach vorne gerückt, andere<br />

werden weggedrückt, wichtige Personen und Ereignisse werden überhöht. Die zehn<br />

Plagen Ägyptens, sie haben sich wohl alle zugetragen und wurden überliefert. In der<br />

schriftlichen Fassung werden sie zu einem Ereignisbündel, es dient zum einen der<br />

Erhöhung <strong>des</strong> Moses, zum andern, um das machtvolle Eintreten Gottes für sein Volk<br />

zu belegen.<br />

Dieser freie Umgang mit objektiven, freilich auch behaupteten Ereignissen gilt nun auch<br />

für <strong>Faust</strong>. Sein Leben und Sterben ist die Knetmasse, um eine lehrhafte Figur zu<br />

formen. Weiterer Teig wird hinzugefügt – der hohe Auftrag der Belehrung erfordert es.<br />

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