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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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Es gibt belegte Fälle von Wahrschau. Meistens hängen sie mit „Krieg und Tod“<br />

zusammen, dabei geht es um Verwandte oder befreundete Personen, zu denen starke<br />

emotionale Bindungen bestehen. Doch keine der „sehenden“ Personen wurde <strong>des</strong>halb<br />

zum Seher. Die Schau auf ein zeitgleiches Ereigniss in der Ferne oder eines bevorstehenden<br />

Ereignisses blieb ein kriegs- also stressbedingter Ausnahmefall. Nicht<br />

allein, weil der „Sender“ sendete, der „Empfänger“ war durch fortgesetzte<br />

Anspannung, hervorgerufen durch allgemeine Unsicherheit, Bombardements, Lagerhaft<br />

oder Flucht seinerseits sensibilisiert, also empfangsbereit.<br />

Als herausragender Vertreter telepathisch begabter Menschen wurde bereits Gérard<br />

Croiset gewürdigt.<br />

Von anderer Art war die „Begabung“ einer älteren Dame, einer Mrs. Kelly; sie war ein<br />

bekanntes Londoner Medium. Sie konnte in den sechziger Jahren <strong>des</strong> letzten<br />

Jahrhunderts am Londoner „College for Psychic Studies“ für Honorar verpflichtet<br />

werden, Verbindung zu Verstorbenen aufzunehmen. Die oft sehr int<strong>im</strong>en Details zapfte<br />

sie wohl vom Fragesteller ab. Spiritisten werden widersprechen, doch eine andere<br />

Erklärung gibt es nicht. Es liegt auf der Hand, Mrs. Kelly konnte nicht allein die<br />

Gedanken <strong>des</strong> Fragestellers bezüglich <strong>des</strong> Verstorbenen abgreifen. Doch sich als<br />

Gedankenleserin anzubieten, es wäre ein schlechtes Geschäft geworden, es hätte nur<br />

zum Spektakel gereicht. Zu behaupten, man wäre in der Lage, Verbindung mit<br />

Verstorbenen aufzunehmen, ließ sich hingegen als eine hohe, ernste Kunst verkaufen.<br />

Verbindung nach „Drüben“ herzustellen, hieß Überwindung von Raum und Zeit, nicht<br />

zuletzt spielte sie mit der Trauer über einen schmerzlichen Verlust.<br />

Die Fähigkeiten <strong>des</strong> berühmten Gérard Croiset waren weitaus geringer ausgeprägt als<br />

die Begabung jener Mrs. Kelly; ihre Begabung war konstant, sie konnte frei<br />

terminieren.<br />

Was <strong>Faust</strong>s Kunst angeht, Manlius liefert einen Hinweis:<br />

„Er gieng hin vnd wider allenthalben (nach Krakau) / vnd sagte viel verborgene ding.“<br />

Melanchthon, der hinter dem Text <strong>des</strong> Manlius steht, hat also vor Zuhörern geäußert,<br />

dass <strong>Faust</strong> viele verborgene Dinge sagte. Um welche Dinge es sich dabei handelte,<br />

verrät der Text nicht.<br />

Melanchthon wusste sich aber mit seinen Zuhörern einig, „quem multi in hoc auditorio<br />

norunt“, den viele <strong>im</strong> Publikum gekannt hatten, dass es mit dieser Aussage über <strong>Faust</strong><br />

seine Richtigkeit hat, nicht anders, als wie er sich mit ihnen über <strong>Faust</strong>s teuflisches<br />

Wesen einig war.<br />

Dass es sich dabei um eine ausgeprägte telepathische Fähigkeit handelte, die eine<br />

traumatische Erfahrung als Ursache hatte, konnte Melanchthon nicht wissen. Dass<br />

<strong>Faust</strong> verborgene Dinge wusste, in Melanchthons Augen war es Teufelswerk; <strong>Faust</strong><br />

hätte es bei seinen wiederholten Besuchen der Teufelsuniversität Krakau gelernt.<br />

Noch aufschlussreicher scheint eine zitierte Aussage Martin Luthers zu sein.<br />

„<strong>Faust</strong> hat sich lassen horen, wen ich, Martin Luther, ihm nur die handt gereycht hette,<br />

wolt er mich vorterbet haben.“<br />

Hier ist von einem Abstand zwischen zwei Menschen die Rede, die sich die Hände<br />

reichen. Eventuell beinhaltet die Aussage auch, <strong>Faust</strong> brauchte, um Gedanken abzugreifen,<br />

nicht allein die Nähe zu seinem Kunden, sondern eventuell auch den unmittelbaren<br />

Körperkontakt – die gereichte Hand.<br />

Die zitierte Aussage Luthers erscheint <strong>im</strong> ersten Moment als Schaumschlägerei eines<br />

Möchtegerns. Unterstellt man <strong>Faust</strong> jedoch, dass er Gedanken abgreifen konnte, dann<br />

wird das Zitat brisant. Jeder, der sich ein wenig mit der Person Luthers beschäftigt,<br />

sieht sich mit dem Umstand konfrontiert: Luther war nicht nur ein „Reformator“,<br />

sondern auch ein schwieriger, mit Komplexen behafteter Mensch.<br />

Die dunkle Seite <strong>des</strong> Reformators, seinen Zeitgenossen blieb sie selbstredend<br />

verborgen, auch Luther selbst war sich ihrer nicht bewusst, er sah Teufel zu Gange.<br />

Es mag ein jeder es sich selbst ausmalen, was passiert wäre, hätte <strong>Faust</strong> einen Zugriff<br />

auf Luthers gehe<strong>im</strong>ste Gedanken und Ängste gehabt.<br />

Mehr noch, falls <strong>Faust</strong> tatsächlich Gedanken abgreifen konnte, dann muss er gewusst<br />

haben, welche Gedanken, Sorgen, Ängste, aber auch Verrücktheiten und Wahnvor-<br />

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