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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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Das Melanchthon-Zitat: „Ich hab einen gekennet / mit nammen <strong>Faust</strong>us von Kundling –<br />

ist ein kleines stettlein / nicht weit von meinem Vatterland…“, klingt allesamt<br />

betrachtet, dann doch recht unterkühlt.<br />

*<br />

Melanchthon schweigt<br />

Man darf sicher sein, dass der verblichene <strong>Faust</strong> nicht nur unter der „gemeinen<br />

jugent“, wie Melanchthon laut Manlius klagte, ein Thema war, sondern auch unter den<br />

Studenten für Gesprächsstoff sorgte. Hätte Manlius, der einst selbst als Student mitten<br />

drin gesessen war, nicht wenigstens die wilden Vermutungen, die allgemeinen<br />

Diskussionen seiner Kommilitonen über <strong>Faust</strong> wiedergeben können, oder besser<br />

noch, was diese von Augen- und Ohrenzeugen über <strong>Faust</strong> gehört hatten.<br />

Denn die Art und Weise wie Melanchthon als Lehrer – nicht als Privatmann<br />

wohlgemerkt, über <strong>Faust</strong> redete, das große Gehe<strong>im</strong>nis, die Faszination <strong>des</strong> Dr.<br />

<strong>Faust</strong>us, erschließt sich aus dem Manlius-Text nicht.<br />

Nicht nur das, Melanchthon schickt Manlius geradezu in die Wüste. Der gewählte<br />

Ausdruck „nicht weit von meinem Vatterland“ lässt keine unmittelbare Nachbarschaft<br />

zu „Kundling“ vermuten, er lässt an eine Entfernung von vielleicht drei Tagereisen<br />

denken.<br />

Und dieses „Kundling“, man muss es nicht auf die Goldwaage legen, doch eventuell<br />

diente es gleichfalls als Kamel. Gemäß den noch existierenden Urkunden wurde der<br />

Name Knittlingen in dieser Zeit wie folgt geschrieben: 1501: Knutlingen, 1504:<br />

Knitlingen, 1504: Knittlinger ..., 1507: Knittlingen, 1519: Knittlingen, 1523: Knütlinger<br />

…, 1531: Knüthlinger …, 1532: Knüttlingen, 1535: Knittlingen, 1540: Knittlingen, 1555:<br />

Knittlingen, 1556: Knittlingen. Die den Steger See betreffende Verkaufsurkunde spricht<br />

von der „Knüthlinger marken“.<br />

Man kann es drehen wie man will, Kundling passt nicht in die Reihe der aus dieser Zeit<br />

bekannten Schreibweisen für Knittlingen.<br />

Es fragt sich, warum Melanchthon überhaupt preisgab, dass <strong>Faust</strong>us nicht weit von<br />

seinem „Vatterland“ dahe<strong>im</strong> war, während er gleichzeitig auf Abstand zu Knittlingen<br />

ging. Warum vollführte er diesen Spreizgang halber Wahrheiten?<br />

Wollte er nur vorbauen und jenem Moment allgemeiner Verblüffung die peinliche<br />

Spitze nehmen, sollte mal tatsächlich ein Tolpatsch in den Kreis treten und sagen: „Ich<br />

weiß, Ihr seid aus Bretten! Und stellt Euch vor, letztes Jahr reiste ich durch Knittlingen,<br />

wo dieser <strong>Faust</strong>us herstammte; das ist bei Euch zu Hause gleich um die Ecke!“<br />

Oder geschah es aus elitärem Dünkel heraus? Fürchtete er um sein Ansehen, so sich<br />

herausstellte, dass er einst <strong>im</strong> selben Dreck wie dieser <strong>Faust</strong>us gespielt hatte? Oder<br />

war Melanchthon als hoch gebildeter Mensch, über das Schmuddelkind der<br />

„Wissenschaften“ oder eben als Protestant über den Teufelsbündner nur schlicht und<br />

ehrlich empört, dass er sich folglich nur in halber Kenntnisnahme übte?<br />

Oder verhält es sich tatsächlich so, dass der Text ein Produkt toller Phantastereien ist<br />

und rein gar nichts mit Melanchthon zu tun hat, alle Fragen und Überlegungen dazu<br />

folglich unsinnig sind?<br />

Um diese Fragen zu klären und den Wert <strong>des</strong> Manlius Textes festzustellen, gilt es die<br />

Entstehung sowie das seinerzeitge Umfeld <strong>des</strong> Textes zu erkunden.<br />

Philipp Melanchthon ist der Gewährsmann, auf ihn beruft sich Manlius.<br />

Philipp Melanchthon, Sohn <strong>des</strong> Waffenschmieds von Bretten, war <strong>im</strong> August 1518 an<br />

der Universität von Wittenberg als Professor für Griechisch tätig geworden.<br />

In Kursachsen gab es zwei Universitäten: die <strong>im</strong> Jahr 1409 gegründete Universität von<br />

Leipzig, sodann jene in Wittenberg. Die Universität von Wittenberg, 1502 gegründet,<br />

war die erste Universität <strong>im</strong> damaligen Deutschen Reich, deren Gründung nicht von<br />

der Kirche ausging, sondern von einem weltlichen Lan<strong>des</strong>herrn.<br />

Melanchthon hatte sich rasch mit Martin Luther angefreundet und sich intensiv mit der<br />

neuen Wittenberger Theologie beschäftigt. Unter „Loci communes“, 1521 gedruckt,<br />

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