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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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– mit Ausnahme der Wiedertäufer, wurde niemand drangsaliert oder gar ausgewiesen.<br />

Und was Melanchthon selbst angeht, gemäß „MBW“ muss er ein Mensch gewesen<br />

sein, der wohl 150 Jahre später gelebt hat.<br />

Was allesamt nichts anderes bedeutet, als dass der Verschönerungsverein dem<br />

Vorbild bildungshungriger Jugend nicht mit Pinsel und Cajalstift zu Leibe rückte,<br />

sondern es in dummdreister Manier mit B<strong>im</strong>sstein abschrubbte – und noch <strong>im</strong>mer nicht<br />

sorgfältig genug war. „MBW“, insbesondere Band 2, ist eine einzige Indiskretion, trotz<br />

der Skelettierung enthüllt er u. a. noch <strong>im</strong>mer, wie Luther und Melanchthon, die beiden<br />

Heroen der Reformation, von den protestantischen Fürsten gegängelt und geschubst<br />

wurden.<br />

Nun mag man auf den zuvor erwähnten Brief vom 24. Febr. 1549 verweisen, in<br />

welchem Melanchthon schreibt, „Fürsten sind Atheisten …“. Die bloße Existenz eines<br />

derart radikalen Schreibens widerlege die Behauptung, dass ein Verschönerungsverein<br />

wirkte.<br />

Zum einen sei angemerkt, Briefe dieser Deutlichkeit sind wahrhaft seltene Perlen in<br />

„MBW“; das Gros der Informationen erschließt sich durch stetig wiederkehrende<br />

Aussagen <strong>im</strong> Pixelformat.<br />

Desweiteren notierte Hans Scheible in der Fußnote jenes Briefes: COD. II, 288.<br />

Das bedeutet gemäß der Erläuterungen in „MBW“, der Brief gehört zum Codex<br />

Chisianus J VIII 293 und 294 der Bibliotheca Vaticana, Rom.<br />

Soweit zu einem stark ausgekämmten Briefwechsel, der einst jenen Brief enthalten<br />

haben müsste, der heute nicht mehr existiert. Denn das, was <strong>Faust</strong> mit Stibar, und<br />

Stibar mit Camerarius verband, war auch Teil der Freundschaft zwischen Camerarius<br />

und Melanchthon: Melanchthons Leidenschaft für Horoskope; sie wird in „MBW“<br />

durchlaufend bestätigt. Es wird die Problematik der Ermittlung der Geburtsstunde<br />

angesprochen, es werden die Namen von Astrologen gereicht: Johannes Virdung,<br />

Johannes Carion, Johannes Pfeil, Johannes Capistor u. a. In bald jedem zweiten Brief<br />

geht es um die Geburtsdaten von Erzbischöfen, Kurfürsten und Königen; allesamt<br />

Persönlichkeiten, die <strong>im</strong> aktuellen Geschehen durch ihre Parteinahme oder auch<br />

Unentschiedenheit von Bedeutung sind. So bittet Melanchthon beispielsweise <strong>im</strong> Brief<br />

vom 12. Okt 1537 Camerarius um das Horoskop <strong>des</strong> Königs von Frankreich sowie um<br />

eine allgemeine Prognose für das Jahr 1538.<br />

Das Urteil der Sterne wird auch den Neugeborenen <strong>im</strong> Bekanntenkreis sofort zuteil<br />

und gelegentlich müssen selbst Studenten bangen: Ein gewisser „Isaak Horning ist<br />

bockig gegen Melanchthon“. Bevor Melanchthon nun <strong>des</strong>sen Vater empfiehlt, Isaaks<br />

Studium zu beenden, fragt er um Isaaks Geburtsstunde an, um für Isaak das<br />

Lebenshoroskop zu stellen.<br />

Melanchthon nutzte die Astrologie zur Abrundung einer Einschätzung, die sich<br />

zuvorderst aus Informationen, Meinungen und seinen persönlichen Überlegungen<br />

al<strong>im</strong>entierte. So er sich dann auch noch durch die Sterne bestätigt sah, war er`s<br />

zufrieden, bestätigten die Sterne seine Überlegung nicht, überprüfte er seine<br />

Gedanken.<br />

Es sei an dieser Stelle noch mal jenen <strong>Faust</strong>forschern widersprochen, die meinen, der<br />

hochgelehrte Philippus zu Wittenberg hätte <strong>Faust</strong> nur vom Hörensagen gekannt:<br />

Melanchthon war nicht nur mit dem Thema „<strong>Faust</strong>“ vertraut, er muss sich für <strong>Faust</strong>,<br />

nicht zuletzt wegen der Treffsicherheit <strong>des</strong>sen „astrologischer“ Prognosen, unbedingt<br />

interessiert haben.<br />

In „MBW“ findet sich die magisch-mediumistische Welt, wie sie auch <strong>Faust</strong> mit seiner<br />

illustren Titelkette für sich reklamiert. Melanchthon wird wiederholt über erregende<br />

Wolkenbilder informiert, <strong>des</strong>weiteren über eine Geburt unter Austritt von Flammen,<br />

über eine Sonne mit Nebensonnen, über einen Spuk, über blutigen Regen. Er erhält<br />

Kenntnis von einer Blutquelle, von einem Erdbeben in Böhmen, von blutendem<br />

Getreide. Ihm wird mitgeteilt, dass sich ein Erdspalt in einer Stadt auftat, aus dem nun<br />

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