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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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Die wenigsten dieser Hilfspfarrer haben an einer Universität studiert, die meisten von<br />

ihnen haben gerade mal eine Lateinschule besucht. So jemals einer dieser Scholaren<br />

Bildungshunger verspürte, Brothunger best<strong>im</strong>mte seinen Lebensweg. Mit einer Pfarre<br />

hat er Hunger gegen schmale Kost, Mobilität gegen vorübergehende Sesshaftigkeit<br />

getauscht.<br />

Der Mangel an Reformwillen auf dem Lande, findet dann auch folgerichtig seinen<br />

Niederschlag in den Forderungen der aufständischen Bauern. Sie wollen die Aufsicht<br />

über das Kirchenvermögen und künftig ihre Pfarrer selbst best<strong>im</strong>men.<br />

Wurde die Kirche auch kritisiert, wegen der Geldgier und der Misswirtschaft der Kurie,<br />

wegen der Verweltlichung und <strong>des</strong> Sittenverfalls der Priester, wegen mangelnder<br />

Bereitschaft zu Reformen, die Kirche hatte Hochkonjunktur, die Menschen suchten<br />

ihre Gnadenmittel. Diese tiefe Religiosität war die Vorrausetzung für die rasche<br />

Ausbreitung der Reformation; aus Bilderstiftern wurden gleichsam Bilderstürmer.<br />

Es war eine Ära greller Gegensätze. Sündigen und dabei um das Seelenheil bangen,<br />

Hoffnung auf Besserung bei gleichzeitiger Erwartung einer bevorstehenden Apokalypse,<br />

die Menschen dieser Zeit lebten alle diese Begriffe in einem Atemzug. Die Agonie<br />

<strong>des</strong> Mittelalters war noch nicht vergangen, das Kreißen der so genannten Neuzeit noch<br />

nicht abgeschlossen, ein oft sanguinisch und melancholisch unausgeglichenes Gefühl<br />

von Schwebe und Unsicherheit beherrschte die Menschen.<br />

Gewiss wäre <strong>Faust</strong> seinen Weg auch in Frankreich oder Spanien gegangen, gelangweilt<br />

hätte er sich auch dort nicht, doch derart bewegt und spannend wie in<br />

Deutschland, mit Fehden, Luther und Bauernkrieg, war es dort in jener Zeit nicht.<br />

Heinrich Heine begeisterte sich nicht nur für Goethes <strong>Faust</strong>, er beschäftigte sich auch<br />

mit dem historischen <strong>Faust</strong>. Er schrieb: „Unser Doktor <strong>Faust</strong>us ist eine so grundehrliche,<br />

wahrheitliche, tiefsinnig naive, nach dem Wesen der Dinge lechzende und<br />

selbst in der Sinnlichkeit so gelehrte Natur, dass er nur eine Fabel oder ein Deutscher<br />

sein konnte.“ Eine Feststellung, die Heine wohl der Überschwang in die Feder diktierte;<br />

Heine starb 1856, die zuletzt aufgefundenen sechs Quellentexte hat er nicht gekannt.<br />

Christopher Marlowe`s “The Tragicall History of the Life and Death of Doctor <strong>Faust</strong>us”<br />

von 1589 und “Histoire Prodigeuse et Lamentable de Jean <strong>Faust</strong>, Magicien avec sa<br />

Mort Epouventable”, erschienen in Paris, 1598, sind der Beginn der begeisterten<br />

Aufnahme der <strong>Faust</strong>-Thematik <strong>im</strong> europäischen Ausland. Es liegt auf der Hand, „<strong>Faust</strong><br />

ist keineswegs typisch deutsch“. Doch seine hohe wie rätselhafte Kunst, dazu die<br />

Annahme, er hätte diese Kunst mit seiner Seele bezahlt sowie die nachfolgenden<br />

Sagen, waren der Humus, auf dem die Phantasien der Autoren der „Historia“ gediehen.<br />

Die „Historia“ wurde zum Ausgangswerk eines der bedeutendsten Themen der<br />

Weltliteratur. Stephan Füssel lieferte die knappe Begründung:<br />

„Mit dem Namen <strong>des</strong> Doktor <strong>Faust</strong> verknüpfen sich die tragische Schönheit sowie die<br />

Gewalt <strong>des</strong> Willens sich über Menschenmaß zu erheben mit der Verwegenheit<br />

menschlichen Geistes <strong>im</strong> Drang nach Erkenntnis.“<br />

*<br />

Eine Instrumentalisierung<br />

Auch die Überzeichnung, die Einteufelung <strong>des</strong> Johann Georg <strong>Faust</strong>, wenn nicht gar die<br />

Wiederauferstehung als literarische Figur überhaupt, ist ein Produkt dieser Zeit.<br />

Genauer gesagt, ein Produkt kampfbereiter Lutheraner in den Jahrzehnten der<br />

Unsicherheit, als sie nicht wussten, wie und wann sie demnächst wieder katholisch<br />

gemacht werden. Eine Situation unendlicher Anspannung, sie ertrug keine Grauzonen,<br />

sie brauchte Abgrenzung, Feind- und Vorbilder in Schwarz-weiß, derbe Parolen,<br />

einprägsame Flugschriften und entschiedene Standpunkte. Bei der ideologischen<br />

Auseinandersetzung mit dem Papsttum wurde nicht nur angezweifelt, ob <strong>des</strong>sen<br />

Existenz von Gott gewollt sei, es ging auch um <strong>des</strong>sen Sündhaftigkeit. Doch das<br />

Schlagwort „Die sündigen Päpste“ aus dem Vorfeld der Reformation war verbraucht,<br />

und so richtig sündig waren die Päpste auch gar nicht. Ihre Gier nach Macht war die<br />

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