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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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Schmalkadischen Krieg wird er dann auch häufig von der „Endzeit“ und vom „Ende <strong>des</strong><br />

Reiches“ schreiben. Das entspricht seinem eigenen Lebensgefühl und auch dem<br />

innenpolitischen Hader, der den Reichsgedanken nun endgültig zerfrisst.<br />

Er wünscht sich, dass er entlassen wird, er wünscht es sich wiederholt, doch an Flucht<br />

dachte er gemäß „MBW“ nie, und auch ein Gesuch um Entlassung reichte er offenbar<br />

niemals ein. Seine triebhafte, zwanghafte Lust sich unentwegt Wissen anzulesen,<br />

jeden Sachverhalt geistig zu fassen, die daraus resultierende Macht der Einflußnahme,<br />

seine Hingabe an die Idee einer Reformierung der Kirche sowie die Begabung<br />

seiner sächsischen Fürsten ihn zu gängeln – Melanchthon hatte sich verfangen.<br />

Eine Erklärung freilich, die als psychologisieren<strong>des</strong> Amalgam von widerstreitenden<br />

Motiven allerdings nicht ganz befriedigt. Denn die hierarchische Ordnung von Kaiser,<br />

Fürsten, Adel, Volk, das ist die überkommene Ordnung, dass er sie nun reibungsfrei<br />

für gottgewollt erklärt, das ist nun doch zu bieder und gar nicht scharfsinnig.<br />

Melanchthon stammte aus wohlhabender Familie, sein Blick auf die Weltordnung war<br />

feudal geprägt, der Klasse, der er sich angehörig fühlte, war nicht die Schicht der<br />

Gebildeten, sondern die der Bildungselite, der Crème; sein dabei sich selbst<br />

zugedachter Rang, selbstverständlich unter dem Fürsten, jedoch über dem Adel<br />

stehend. Gemäß „MBW“ will es scheinen, Melanchthon weigerte sich bis ans Ende<br />

seines Lebens zu bemerken, dass Bildung allein nicht genügte, um <strong>im</strong> Dunstkreis von<br />

Herrschaftsrechten und angeborenen Machtinstinkt respektiert zu werden. Der lebenslange<br />

Schlingerkurs Melanchthons – durchaus schmerzhaft zu lesen, zwischen<br />

Ablehnung, mehr noch, zwischen Abscheu gegenüber der Politik seiner Fürsten und<br />

gleichzeitigem Eifer <strong>im</strong>mer wieder aufs Neue mit seinem Scharfsinn den Machenschaften<br />

seiner Herren zu dienen, es erklärt sich gutmöglich damit, dass Melanchthon<br />

nicht von der Vorstellung lassen konnte, dass ihm auf grund seiner hohen Bildung,<br />

freilich auch seiner Verdienste, der gedachte Rang innerhalb jener Hierarchie gebührt<br />

und er eisern entschlossen war, es <strong>im</strong>mer wieder aufs Neue und allen Widrigkeiten<br />

zum Trotz zu beweisen.<br />

Was jedoch nichts daran änderte, dass Melanchthon bei Hofe mit all seinem Wissen<br />

und seinem Scharfsinn gegen das Ansehen eines schlauen Höflings nicht ankam.<br />

Die Crème! Wunsch- und Phantasieprodukt der damaligen Bildungsbewegung, der die<br />

Fürsten, nicht anders als dem Adel, nun zügig ihre neuen Plätze weisen; mit ein paar<br />

Knabberknöchelchen, falls nötig, mit bösen Worten.<br />

Ein geradezu schmerzlicher Höhepunkt für den Leser ist das Ende der französischen<br />

Affaire: Melanchthon hatte 1534 / 1535 in Briefen den französischen König zur<br />

Reformierung gedrängt. Er wollte damit den Druck auf Rom erhöhen, Reformen durchzuführen.<br />

In seiner Reformbegeisterung hatte er allerdings dabei übersehen, dass er<br />

damit außenpolitisch tätig geworden war, also in kaiserliche Befugnisse eingegriffen<br />

und somit den Reichsfrieden aufs Spiel gesetzt hatte. Er war <strong>des</strong>halb von seinem<br />

Fürsten gerügt worden, infolge<strong>des</strong>sen fühlte er sich gekränkt und mied den Umgang<br />

mit seinem Fürsten. Wenige Wochen später schreibt Melanchthon an verschiedene<br />

Adressaten – jene, bei denen er sich vorher bitter beklagt hatte, der Fürst habe mit ihm<br />

freundlich geredet, jetzt sei alles wieder gut.<br />

Wo Melanchthon denkt, alles sei wieder gut, tauscht sein Fürst mit seinen Beratern nur<br />

ein Kopfschütteln – das begeisterte Lachen ist ihnen bei soviel kluger Einfalt und<br />

Wohlverhalten vermutlich schon längst vergangen. Sie kennen seinen geschwätzigen<br />

Briefverkehr nach überall, sie wissen, dass er nun hinausposaunt, wie kompromisslos<br />

sein Fürst das Pr<strong>im</strong>at <strong>des</strong> Kaisers in Sachen Außenpolitik respektiert, dass selbst eine<br />

Reformierung Frankreichs hintenangestellt wird.<br />

Die schlichte Wahrheit: Die protestantischen Fürsten sind <strong>im</strong> zweiten Jahrzehnt der<br />

Reformation entschlossen, die Früchte der Reformation in trockene Tücher zu bringen;<br />

sie haben den Vorwurf der Ketzerei abgeschüttelt, den Schmalkaldischen Bund<br />

gegründet, dazu den „Nürnberger Anstand“ durchgedrückt – die Zeit geduldigen<br />

Zuwartens ist vorbei. Der sächsische Kurfürst, ebenso Herzog Ulrich von Württemberg,<br />

und auch der hessische Landgraf, sie haben sich in außenpolitische Strudel begeben.<br />

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