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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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von der Zeit weit vor Christi Geburt bis ins Heute reicht, <strong>Faust</strong>s Zeitfenster von 1480 bis<br />

1540 also deutlich sprengt.<br />

Und gewiss lässt sich der Leser gerne auf zwei dutzend Seiten berichten – es wurde<br />

schließlich oft genug in den vorangegangenen Essays daraus zitiert, was sich sonst<br />

noch in „MBW“ in etwa an Essenz findet, wenn er erfährt, dass „MBW“ mehr als 4000<br />

Seiten füllt. Wobei diese 4000 Seiten bereits hoch problematisch sind, eine<br />

Problematik, die sich entsprechend potenziert, so man diese 4000 Seiten zu einer<br />

flotten Revue von gerademal 24 Seiten kompr<strong>im</strong>iert.<br />

Heinz Scheible fertigte von jedem einzelnen Dokument eine Inhaltsangabe. Die so<br />

geschaffene Transparenz <strong>des</strong> Briefwechsels geht einher mit einer Färbung <strong>des</strong> Inhalts.<br />

Dazu aus dem Vorwort: „Das Regest eines Briefes kann nicht nur den Inhalt der<br />

Vorlage wiedergeben, sondern muss zusätzliche Informationen und Interpretationen<br />

beisteuern. Das subjektive Moment <strong>des</strong> Verfassers stellt einen erheblichen Faktor dar,<br />

der dem Leser ins Bewusstsein gehoben und der methodischen Reflexion unterzogen<br />

werden muss.“<br />

Dieses „subjektive Moment <strong>des</strong> Verfassers“ ist jedoch nicht der einzige Faktor, <strong>des</strong>sen<br />

sich der Leser bewusst sein muss. Er muss <strong>des</strong> weiteren bedenken, Briefe sind<br />

subjektiv, wurden eventuell auch mit Hintersinn geschrieben, die geschichtliche<br />

Wirklichkeit spiegelt sich in ihnen nur bedingt. Ebenso wenig darf er vergessen, es ist<br />

Reformationszeit, der Schlagabtausch wird geübt. Es wird polemisiert, übertrieben und<br />

verschwiegen. Sich mit „MBW“ zu beschäftigen, macht Lust auf Geschichte, „MBW“<br />

lässt Geschichte gelegentlich dramatisch miterleben, zu einem Geschichtsbuch wird<br />

„MBW“ dadurch nicht.<br />

Der Leser braucht Nehmerqualitäten, der Briefwechsel ist unvollständig – gutmöglich<br />

fehlen 80% <strong>des</strong> Materials. Aus dem Nichts tauchen Begriffe auf, sie werden nicht<br />

konkretisiert, Namen und Verbindungen werden über die Bühne gereicht, gerne möchte<br />

man mehr dazu erfahren, man erfährt nichts. Viele Vorgänge wie z. B. die<br />

Reformierung Englands oder die inhaltlichen Differenzen verschiedener protestantischer<br />

Gruppierungen, sie bleiben unklar.<br />

Sich „Melanchthons Briefwechsel“ zu Gemüte zu führen, kommt einem Flanieren in<br />

einem überaus luftigen Kolossalgemälde gleich. Ein Spaziergang, bei dem man freilich<br />

bisweilen nicht nur den Atem anhält, sondern auch eine zunehmende Abscheu<br />

empfindet, nicht derart, dass man darüber zum Atheisten wird, doch es reicht zum<br />

heilsamen Ekel vor jedwedem theologischen Wortgefecht – Worte sind willige Huren.<br />

Gleiches gilt auch für das politische Geschäft jener Tage. Und spätestens in diesem<br />

Zusammenhang hat „MBW“ seinen unmittelbaren Bezug zum Heute – das<br />

Kolossalgemälde steht <strong>im</strong> Jetzt. Auf leichte Art wird dem Leser offenbart, Politik ist die<br />

Kunst der Kulisse, <strong>des</strong> Donnergetöses, der nachhaltigen Ohrenbläserei.<br />

Mit diesem Bezug zum Heute präsentiert sich der Fundus – durch seine Lücken<br />

angenehm luftig zu lesen, als erster Aufriss eines großen historischen Romans, der an<br />

sich nur noch auf seinen Autor wartet.<br />

Auf eine Autorin, auf einen Autor, die allerdings <strong>des</strong> Lateinischen so mächtig sein<br />

müssen, als wäre es ihre Muttersprache.<br />

Denn „MBW“, die Regesten, d. h. die Kurzfassungen der Briefe in deutscher Sprache,<br />

wie von Heinz Scheible und seinen Mitarbeitern angefertigt, lassen die Persönlichkeit<br />

Philipp Melanchthons zwar erahnen, doch wer er wirklich war, das erschließt sich<br />

vermutlich erst durch das Studium der Volltexte; in den feinen Schleifen und Ösen<br />

seiner Ausführungen, über das Hineinlauschen in die Winkel und Fluchten scheinbar<br />

belangloser Nebensätze. Und diese Volltexte sind nahezu alle auf Latein geschrieben;<br />

Melanchthon notierte, es falle ihm leichter, Briefe in Latein zu schreiben als auf<br />

Deutsch. Und wie mir Christine Mundhenk, die Leiterin der Melanchthon Forschungsstelle<br />

in Heidelberg mitteilte, liegen die Briefe in ihrem vollen Wortlaut bis zur Stunde<br />

nicht in deutscher Übersetzung vor, auch sei eine Übersetzung nicht geplant.<br />

Verständlich, die Sprache ist derart derb, dem Publikum bliebe nur die Wahl sich daran<br />

zu begeistern, sich unausgesetzt wiehernd vor Vergnügen auf die Schenkel zu<br />

schlagen oder aber sich aufpeitschen zu lassen, um sich erneut <strong>im</strong> Streit um das rechte<br />

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