12.01.2013 Aufrufe

Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Es wurde in der <strong>Faust</strong>forschung angedacht, dass <strong>Faust</strong> mit Prior Leib nicht in Rebdorf<br />

sprach, sondern in Ingolstadt. Das bedeutet, dass <strong>Faust</strong> in Ingolstadt mit zwei<br />

„Pässen“ aufgetreten wäre. Das scheint min<strong>des</strong>tens ebenso zweifelhaft zu sein, wie<br />

die Annahme, dass <strong>Faust</strong> in Ingolstadt als Dozent tätig gewesen sein könnte. Wie<br />

hätte sich der Dozent <strong>Faust</strong> gegenüber Prior Kilian Leib als Komtur ausgeben können,<br />

wenn er gleichzeitig Kollege <strong>des</strong> Dozenten Johann Eck war, Johann Eck aber so eng<br />

mit dem Prior zusammenarbeitete. Ganz zu schweigen von der geradezu witzig<br />

anmutenden Vorstellung, ein Dozent der Universität wird als Wahrsager der Stadt<br />

verwiesen.<br />

<strong>Faust</strong> wurde auch nicht vom Senat der Universität aus der Stadt gewiesen, diesem<br />

unterstand die akademische Gerichtsbarkeit. Es war auch kein geistliches Gericht,<br />

dem die ketzerischen Fälle unterlagen, und das sich mit <strong>Faust</strong> beschäftigt hatte.<br />

Der Stadtrat verwies ihn, der Vorwürfe sind viele denkbar: Ruhestörung, Streitereien,<br />

Gefährdung der Ordnung.<br />

Der Eintrag erfolgte unter der Rubrik „Ausgewiesen“.<br />

Es sei an dieser Stelle der Begriff „Stadtbuch“ ein wenig ausgeleuchtet.<br />

Mit der Ausbildung vom Weiler zum Dorf, zum Flecken, spätestens mit der Erhebung<br />

zur Stadt, wurde für eine Kommune die Führung eines Stadtbuchs notwendig. Es galt<br />

Einnahmen und Ausgaben festzuhalten, <strong>des</strong> weiteren Ratslisten, Waffenverbote,<br />

Urkundenabschriften, Verpfändungen, Stadtverweise, Aufgebote verlorener Siegel,<br />

Ratsurteile und dergleichen mehr. Je nach Region bezeichnete man das Stadtbuch als<br />

„Radebok“, „unsir stat buch“, „denkelbok“ oder auch sehr liebevoll wie in Breslau um<br />

1340 als „Struppige Hilde“ und „Nackter Laurentius“; die „Hilde“ muss wohl einen stark<br />

mitgenommenen Schweinsledereinband, der „Laurentius“ wohl gar keinen Einband<br />

besessen haben. Je schneller eine Kommune wuchs, umso schneller erfolgte die<br />

Aufteilung <strong>des</strong> Stadtbuchs: Buch der Ratssitzungen, Eidbuch, Grundbuch, Pfandbuch,<br />

Urteilsbuch, Urfehdebuch. Die der Stadt Verwiesenen wurden auch in Achtbüchern<br />

oder, so sie inhaftiert gewesen waren, in Verfestungsbüchern namhaft gemacht.<br />

Die Ausweisung, in Verbindung mit einer „Urfehde“, lässt den Schluss zu, <strong>Faust</strong> hat<br />

auch in Ingolstadt seine Karten bis zum Letzten ausgereizt<br />

<strong>Faust</strong> liebte es wohl, hart an den Felsen zu segeln. Er muss ein Mensch von geradezu<br />

gefährlicher Intelligenz gewesen sein, folglich auch einsichts- und lernfähig; Tollheiten,<br />

wie er sie in den aufrührerischen Jahren vor dem Großen Bauernkrieg zum Besten<br />

gegeben hatte, jene, die einst Abt Trithemius empörten oder Conradus Mutianus an<br />

eine Erhebung der Theologen denken ließen, hatte er wohl inzwischen aus seinem<br />

Programm genommen.<br />

Zum Freund von Wahrheiten wird er damit allerdings nicht. Die Matrikelbücher der<br />

Universitäten blieben vollständig erhalten, <strong>im</strong> entsprechenden Zeitraum schrieben sich<br />

einige Studenten unter „<strong>Faust</strong>“ ein: „Heynricus <strong>Faust</strong> de Lindefelz, Johannes Fust de<br />

Francofordia, Wigandus <strong>Faust</strong> de Ley …“. So sehr man auch die einzelnen<br />

Kandidaten abklopfte, eine Verbindung zu unserem <strong>Faust</strong> ließ sich nicht herstellen.<br />

Auch Nachforschungen in Krakau förderten keinen Hinweis zutage. <strong>Faust</strong> hat also<br />

niemals studiert. Min<strong>des</strong>tens alles, und vielleicht noch mehr, was über „Johann Georg<br />

<strong>Faust</strong>us Kundlingensis, Philosoph, Arzt, Alchemist, Astrologe und Wahrsager“<br />

hinausgeht, ist bestenfalls Werbung.<br />

Wer hier einwirft, dass es den „<strong>Faust</strong>us Kundlingensis“ nicht mehr brauchte, weil <strong>Faust</strong><br />

eben <strong>Faust</strong>, also einzigartig war, weil er zum lebenden „Markenzeichen“ für das<br />

Unerklärliche schlechthin geworden war, der hat sicher Recht. <strong>Faust</strong> hatte einen<br />

derartigen Bekanntheitsgrad, seine Herkunft war bedeutungslos geworden, war hinter<br />

den Namen zurückgetreten. <strong>Faust</strong> hatte Knittlingen hinter sich gelassen, sich selbst<br />

neu erschaffen. Losgelöst von seiner Herkunft, seinem Ursprung, begann er<br />

irgendwann auf seiner eigenen Bühne zu leben. Die Ausstattung wechselte nach<br />

Bedarf, doch ganz gleich welches Stück er gab, spielte er nur den einen unverwechselbaren<br />

Dauerbrenner und lebenslangen Kassenschlager, und der hieß „<strong>Faust</strong>“.<br />

Zu vermuten, dass er Knittlingen absichtsvoll verschwieg, greift nicht.<br />

Es schreibt und liest sich zwar gut, wenn man unter Verweis auf Heine eröffnet:<br />

73

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!