Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

wohlhabenden Bürger abwartend abseits standen – des gemeinen Volkes. Mit dem
alten Appell der Reformatio Sigismundis, „Wenn die Großen schlafen, müssen die
Kleinen wachen“, ermunterte er das Volk, in den Kirchen die neue Ordnung des
Gottesdienstes durchzusetzen.
„O Jahrhundert, o Wissenschaften! es ist eine Lust zu leben!“ begeisterte sich Ulrich
von Hutten im Jahr 1518, „Die Studien blühen, die Geister regen sich. Barbarei, nimm
deinen Strick und mach dich auf Verbannung gefasst!“ Die Brüche und Widersprüche
der Zeit, sahen weder er noch die übrigen Zeitgenossen, alle Gesellschaftsschichten
lebten in der trügerischen Erwartung eines großen Aufbruchs.
Es ist die Tragik der frühen Humanisten, dass sie in ihrer Begeisterung für das Wissen
und um ihre Vorstellungen umzusetzen, freilich auch im Streben nach Ämtern und
Pfründen, in die Professorenstellen der Universitäten drängten – in die Denkfabriken
der Landesherrn. Getragen vom Wunsch die Welt über das Wissen zu ordnen, halfen
sie den Landesherrn den neuen Untertanenstaat zu bauen. Ideenreich und bienenfleißig
trennten sie das Oben vom Unten. Um bei Luther und Melanchthon zu bleiben,
an der Universität von Wittenberg, an der Universität von Leipzig bereits lange vorher,
wurden jene Gesetze und Verordnungen ausformuliert, um dem stetig wachsenden
Anspruch fürstlicher Macht in Kursachsen Geltung zu verschaffen. Die Einführung und
Umsetzung des römischen Rechts, die Zerschlagung der überkommenen bäuerlichen
Selbstverwaltung, die Entmachtung der Städte, die Errichtung eines auf die
Bedürfnisse des Fürsten zugeschnittenen Gerichtswesens, die Verschärfung der
Gesetze gegen die Vertreter der Volksmedizin …
Später wurden an den Universitäten auch die Protokolle der Hexenverhöre geprüft und
die Urteile bestätigt; die Rechnungsbücher für die so vereinnahmten Gebühren sind
allesamt verschollen.
Jene Zeit, die Engels später als das revolutionärste Jahrhundert der Deutschen
bezeichnen wird, war sie tatsächlich dem Heros der Revolution zugeneigt?
Sie war es, ganz und gar, und zwar im ureigensten Sinn der Wortbedeutung: revolvere,
lat.: zurückdrehen.
Es will scheinen, als ob alle Geister der Vergangenheit auferstanden waren, um sich
ein letztes Mal gegen das Neue aufzubäumen, dem Rad der Geschichte in die
Speichen zu greifen, es in seinem Lauf abzubremsen, um es dann zurückzudrehen.
Das Neue, das war die fortschreitend sich ausbildende Staatsform, die sich auf
Verordnungen, Gesetzestexte und auf den Beamtenstand stützte: Juristen, Richter,
Polizei, Steuerbeamte – in dieser Zeit freilich fest in den Händen der Landesherrn der
jeweiligen Fürstentümer.
Diese Verwaltungsapparate sind Grundlage der heutigen Bundesländer – die Neuzeit
hatte begonnen.
Als die Geister aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen, liegen die Fundamente des
Neuen bereits sicher und tragen. Und so sind nicht allein hochgespannte Erwartungen
und Widersprüche die Merkmale jener Jahrzehnte sondern auch, dass die Exponenten
der jeweiligen Stoßrichtung es noch zu Lebzeiten erleben müssen, wie ihre Ziele,
Ideale und Vorstellungen scheitern und zerschellen; und zwar alle, ohne Ausnahme.
Das Verhältnis zwischen Fürsten und Kaiser ist soweit festgeschrieben, Kaiser Karl V.,
der junge Mann aus Spanien, beladen mit der Vorstellung alter kaiserlicher
Zentralmacht, sieht sich von deutschen Fürsten umgeben, die unberührt von allen
Ereignissen, eifersüchtig auf ihre vertraglich gesicherte „Libertäd“ gegenüber dem
Kaiser achten. Kaiser Karl V. kann keinen seiner Träume realisieren, er beendete sein
Debut als Geschlagener. Es türmte sich ein noch nie dagewesener Berg von Schulden,
der Reichsgedanke ist endgültig zu Grabe getragen – das Paktieren der Fürsten mit
fremden Mächten üblich geworden – die Entmachtung der Kaiser also fortgeschrieben.
Dazu war Deutschland in katholisch und protestantisch geteilt, und gewiss nicht zuletzt
lag fortan die „Carolina“, die Terrorakte, auf den Richtertischen. Es hätte bereits eher
einen Kanzler denn einen Kaiser gebraucht.
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