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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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auf etwa 900 Briefe. Nun kann man Abstriche vornehmen, schließlich werden sich die<br />

beiden auch mal eine Zeitlang aus den Augen verloren haben, doch viel weniger als<br />

300 Briefe werden es wohl kaum gewesen sein.<br />

Warum sie entsorgt wurden? Eventuell war ein wenig zu oft von „Dr. <strong>Faust</strong>us“ in ihnen<br />

die Rede gewesen. Zuvorderst dürften sie jedoch deutlich gemacht haben, in welchem<br />

Umfang der katholische Unterhändler Stibar seinen Melanchthon-Freund Camerarius<br />

nach Informationen abgebürstet, beziehungsweise über Camerarius nolens volens<br />

Fehlinformationen nach Wittenberg durchgereicht hatte.<br />

Was nun Melanchthon und Camerarius angeht, beide wurden post mortem<br />

instrumentalisiert und auch stilisiert, sie waren für das historische Bild von den<br />

Anfängen <strong>des</strong> Protestantismus, sodann in ihrem Höchstmaß an Anspruch traditioneller<br />

Bildung, als Wegbereiter staatstragenden Bildungsbürgertums viel zu bedeutsam, als<br />

dass man ihre Briefportraits ungereinigt der Nachwelt überliefern durfte; das<br />

Engagement eines Verschönerungsvereins war zwingend.<br />

Der Briefbestand <strong>des</strong> Camerarius präsentiert sich heute mit ein wenig mehr als nichts.<br />

Erasmus von Rotterdam (1469-1536) war das gelehrte Aushängeschild der alten<br />

Kirche, Joach<strong>im</strong> Camerarius (1500-1574) – sein ansehensmäßiger Nachfolger, war das<br />

gelehrte Aushängeschild der reformierten Kirche. Das heute bekannte Briefwerk <strong>des</strong><br />

Erasmus von Rotterdam umfasst 2000 Briefe, das Briefwerk <strong>des</strong> Joach<strong>im</strong> Camerarius<br />

umfasst 200 Briefe.<br />

Eine frappante Differenz, wo täglich Briefe geschrieben wurden, wo jeder Gebildete zu<br />

jeder Zeit mit einem Dutzend anderer in Briefkontakt stand.<br />

Wie übel der Verschönerungsverein dabei hauste, wird be<strong>im</strong> Blättern in „Melanchthons<br />

Briefwechsel“ deutlich.<br />

Wiederholt bedankt sich Melanchthon bei Camerarius für die zahlreichen Briefe, so<br />

bespielweise in seinem Brief vom 12.5.1531, und wiederholt bittet er um<br />

Entschuldigung, dass er viel zu selten zurückschreibe. Doch in “MBW“ finden sich<br />

laufend Briefe Melanchthons an Camerarius, doch unverhältnismäßig wenige Antwortschreiben<br />

<strong>des</strong> Camerarius.<br />

In Anbetracht der Unversöhnlichkeit zwischen Katholiken und Protestanten, die in<br />

ihren Ausläufern gewiss bis in die 50er Jahre <strong>des</strong> letzten Jahrhunderts reichte, und der<br />

Tatsache, dass Camerarius zu jenen gehörte, die den Bruch der Christenheit zu kitten<br />

suchten, wurden wahrscheinlich zum einen jene Briefe entsorgt, die das Bild vom<br />

verlässlichen Protestanten Camerarius störten. Der Vernichtung anhe<strong>im</strong> fielen auch<br />

jene Schreiben, in welchen sich Camerarius allzu deftig über die Fürsten, <strong>im</strong><br />

Besonderen aber über Herzog Ulrich von Württemberg äußerte.<br />

Denn 1534 wurde Württemberg an Herzog Ulrich restituiert und mit dem Jahr 1534<br />

betreibt der Herzog die Reformierung Württembergs. Durch die Einziehung der<br />

Kirchengüter erfährt das Herzogtum zum einen eine deutliche Vergrößerung, zum<br />

anderen wechseln die vormaligen Klosterdörfer in die Leibeigenschaft <strong>des</strong> Herzogs.<br />

Mit Blick auf den Reichsfrieden wird die Reformierung sanft betrieben, die<br />

unmittelbaren Kirchengüter werden einer eigenen Verwaltung unterstellt, katholische<br />

Geistliche erhalten eine Pension. Ansonsten betreibt der Herzog jedoch eine rigorose<br />

Steuerpolitik; seine Hofhaltung ist unangemessen aufwendig, seine Festungsbauten<br />

verschlingen Unsummen. Die Bedrückung der Landbevölkerung erreicht binnen<br />

kurzem ein derartiges Unmaß, bereits 1534 bringt Camerarius eine Ekloge über das<br />

harte Los der Bauern unter den Gebildeten in Umlauf; wenngleich in lateinischer<br />

Sprache – ein ungewöhnliches wie hochherziges Engagement.<br />

Der hochgebildete Philologe einerseits und der jähzornige und gewalttätige Herzog<br />

andererseits – einige Historiker sprechen von einer ererbten Geisteskrankheit, das war<br />

wie Wasser und Feuer.<br />

Zwar wird Camerarius vom Herzog nach dem ehrenvollen Besuch Melanchthons in<br />

Tübingen <strong>im</strong> Jahr 1536 noch zum Rektor der Universität ernannt, doch bereits 1541<br />

rettete er sich mit Hilfe Melanchthons in eine Professur nach Leipzig.<br />

Nach Auskunft der Camerarius-Forschungsstelle ist die Zeit <strong>des</strong> Camerarius in<br />

Tübingen bis zur Stunde nicht wissenschaftlich aufgearbeitet. (Sic!)<br />

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