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Faust im Visier des Geheimdienstes (PDF) Neufassung

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wisse jeder, dass <strong>Faust</strong> nicht bei Wittenberg gestorben sein könne, da er sich dort nicht<br />

mehr blicken lassen durfte. „Er ist bürtig gewesen auß e<strong>im</strong> flecken / genant Knütling“.<br />

„War eine weile schulmeister vnder Frantz von Sickinge bey Creutznach …“<br />

Weiterhin klagt er, dass es nicht rechtens sei, aus Gründen der Belehrung, <strong>Faust</strong>s Tod<br />

auf einen Karfreitag zu legen. „Andere eitelkeit lügen vnd teufelsdreck <strong>des</strong> buchs lasse<br />

ich vngereget: …michs sehr verdreußt vnd betrübet / wie viele andere ehrliche leute …“<br />

Er beklagt weiter, dass Luther und Melanchthon sowie die hochberühmte Schule zu<br />

Wittenberg auf diese Weise geschändet würden. Es sei nicht neu, dass solche unserer<br />

evangelischen Kirche feindliche Schmähschriften in Umlauf kämen, aber es sei<br />

ungebührlich, dass Drucker diese Bücher unters Volk bringen dürften. Es laufe darauf<br />

hinaus, dass die Jugend verführt werde, das Teufelswerk selbst einmal auszuprobieren.<br />

Soweit die stark gekürzte und freie Wiedergabe <strong>des</strong> Kapitels „Zeugnisse zur<br />

zeitgenössischen Wirkung“ in Reclam „1516“.<br />

Lerche<strong>im</strong>er klagt unter anderem Faktentreue ein. Interessant, was er darunter versteht,<br />

er selbst hat in seinem Werk Abt Trithemius zum schwarzen Abt aufgerüstet und seine<br />

<strong>Faust</strong>histörchen sind nicht weniger phantastisch teuflisch als was die „Historia“ über<br />

<strong>Faust</strong> zu berichten weiß. Auch für Lerche<strong>im</strong>er ist das Teuflische also eine Realität, er<br />

klagt jedoch die korrekte Wiedergabe von realen Lebensumständen und Ortsangaben<br />

ein.<br />

Lerche<strong>im</strong>ers Angriff ist ein brisanter Vorgang.<br />

Vorbei sind die Zeiten, als um 1520 die Zensur bei einem überforderten Stadtschreiber<br />

lag, den die Buchdrucker an der Nase herumführten, als so manches „Schandwerk“<br />

unter die Leute kam. Die Prüfung von Schriften wird längst von Universitäten<br />

wahrgenommen und diese haben sowohl die „Historia“ als auch das Werk Lerche<strong>im</strong>ers<br />

abgesegnet.<br />

Mit seiner Klage greift Lerche<strong>im</strong>er jene Prüfstelle an, welche die „Historia“ begutachtet<br />

hatte; den Druck der „Historia“ zu billigen, sei eine Schädigung der evangelischen<br />

Kirche. Lerche<strong>im</strong>er stellt die „Historia“ auf die Ebene jener Schmähschriften, wie sie<br />

von katholischer Seite aus in reformierten Gebieten verbreitet werden.<br />

Und gewiss nicht zuletzt, Lerche<strong>im</strong>er besch<strong>im</strong>pft und beleidigt den Autor der „Historia“,<br />

er heißt ihn einen „Lecker“, was er geschrieben, sei „boeslich vnd buebelich erdichtet<br />

vnnd erlogen“; nach heutigem Sprachgebrauch: Der Autor sei ein Lügner und Lump.<br />

Er spricht von „viele andere ehrliche leute“, die ihm wohl bei seiner Attacke den Rücken<br />

steiften.<br />

Neid auf das erfolgreiche Werk oder eine andersartige Literaturauffassung sind als<br />

Ursache <strong>des</strong> Angriffs eher auszuschließen; Lerche<strong>im</strong>er wagt es, eine Prüfstelle anzugreifen.<br />

Der Ursachen für die Attacke sind jedenfalls einige denkbar.<br />

Gab es ein Unbehagen in gewissen Kreise; nicht was das Predigen gegen das Dämonische<br />

grundsätzlich anging, sondern dahin gehend, dass man bei der lehrhaft<br />

phantastischen Ausgestaltung der „Historia“ derart großzügig Luther, Wittenberg und<br />

auch Melanchthon miteinbezogen hatte?<br />

Sprich, dass man die Aufrüstung einer derart zeitnahen Person zu einer biblischen<br />

Figur als zu gewagt empfand; laut der „Historia“ muss <strong>Faust</strong> ein Zeitgenosse Luthers<br />

gewesen sein. War die Zeit bereits zu weit fort geschritten, dass einigen – Belehrung<br />

hin oder her – die „Qualmerei“ nun doch zu gewagt erschien?<br />

Hatten sich für einige Naturerscheinungen, die bisher metaphysisch erklärt worden<br />

waren, inzwischen rationale Erklärungen gefunden? Folgerten daraus einige der<br />

Gebildeten, dass ein Dutzend der „tollen Geschichten“ sich eines Tages nicht nur als<br />

Hirngespinste erweisen sollten, sondern die „Historia“ als Ganzes und somit die<br />

Evangelische Kirche beschädigen könnten?<br />

Der Leser möge diese frühe Kritik innerhalb der Protestanten, <strong>im</strong> Auge behalten, sie<br />

führt geradewegs ins nächste Kapitel.<br />

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