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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Ordnung von Raum und Zeit<br />

von den Frauen gesäugt werden, bewegen sich die Schweineherden halbwild<br />

entweder in den abgetrennten, pone genannten Bereichen zwischen Dorf und<br />

Gärten, oder sie sind in kleinen Koben nahe des „Hofes“ eingesperrt. Die Tiere<br />

werden mit Essensabfällen (Schalen von Taro, Yams, Süßkartoffeln, Bananen,<br />

etc., Grünzeug, Papayas, trockene Flocken ausgepreßter Kokosnüsse oder Überresten<br />

von Mahlzeiten) oder mit extra für sie gekochten, minderwertigen Knollen,<br />

Bananen oder wilden Wurzeln gefüttert. Man achtet sehr darauf, nur die<br />

Tiere der eigenen Herde zu füttern, die ihre Besitzer schon an der Stimme erkennen,<br />

und sogleich angetrabt kommen, wenn sie deren lauten, schmatzenden<br />

Lockruf vernehmen. Fremde Tiere hingegen werden mit einem langen Stock<br />

vertrieben. Meiner Beobachtung nach kümmern sich sowohl Männer als auch<br />

Frauen um die Tiere, ja nicht selten ist es der Fall, daß Männer zu ihren wertvollen<br />

Keilern eine enge Beziehung eingehen, sie bevorzugt füttern und mitunter<br />

auch sanft am Bauch und Nacken kraulen (vgl. Abb. 22). 94 Die Produktion von<br />

Keilern mit kreisförmig wachsenden unteren Eckzähnen ist Männersache und<br />

eine Besonderheit, die es in dieser Form ausschließlich in Vanuatu gibt, weswegen<br />

der „Tusker“ 95 sogar Eingang in die Nationalflagge Vanuatus gefunden hat.<br />

Keiler mit besonders ausgeprägten, symmetrischen Hauern, sind die am höchsten<br />

wertgeschätzten Schweine. Je runder die Tusker wachsen, um so wertvoller<br />

sind sie später als Statussymbole bzw. Rangabzeichen, wie wir in Kap. 12.1<br />

noch sehen werden. Um das ungehinderte Wachstum der Eckzähne zu erreichen,<br />

werden dem Tier im Alter von etwa anderthalb Jahren die oberen Eckzähne ausgeschlagen.<br />

Nun können die unteren Eckzähne ungehindert wachsen, sie runden<br />

sich, beginnen nach etwa fünf Jahren und dem Beschreiben eines Dreiviertelkreises<br />

die Backen zu berühren, in die sie nach und nach einwachsen. Schließlich<br />

dringen sie erneut in den Knochen des Unterkiefers ein, den sie nach weiteren<br />

etwa zwei Jahren durchbohrt haben, worauf ihre Spitze erneut erscheint.<br />

Nicht allzulange darauf haben die Tusker ihre bestmögliche Form erreicht, und<br />

der Keiler wird in einem großen warsangul Titelritual, und zwar ausschließlich<br />

hier, denn für alles andere wäre er viel zu kostbar, geschlachtet. 96 Bedenkt man,<br />

wieviel Arbeit und Aufmerksamkeit man der Vermehrung und Veredelung seiner<br />

Schweine zuwenden muß, wird deutlich, welchen Wert sie tatsächlich besitzen,<br />

ja daß sie eben viel mehr als nur Nutztiere sind. Vielmehr gelten die Keiler<br />

als eine Art Kunstwerk von hoher ästhetischer und symbolischer Bedeutung,<br />

94 Jolly meint, daß Schweine das ausschließliche Eigentum der Männer seien (1994a:72). Alle<br />

meine Informanten wiesen diese Sicht zurück und wollten bei der Frage nach Besitzrechten<br />

keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen machen.<br />

95 engl. für den fast kreisrund gewachsenen Zahn des Keilers, aber auch für den Keiler selbst.<br />

96 In anderen Teilen Vanuatus, etwa in Malekula, läßt man den Tusker zwei, ja sogar drei<br />

Rundungen beschreiben. Da die Gefahr eines Abbrechens des Zahnes und der damit verbundene<br />

Wertverlust jedoch immer größer wird, und durch die offenen Wunden im Kiefer im<br />

Übrigen auch die Gefahr von Infektionen und Abmagerung besteht, begnügt man sich in Pentecost<br />

mit dem oben beschriebenen Verfahren (vgl. auch Jolly 1994a:73).<br />

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