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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Gol - ein kastom der Sa: Das Mitteilbare<br />

ten, Geschenke oder Geld. Die Zuschauer können zwar emotionalen Anteil<br />

nehmen, greifen jedoch ins aktuelle Geschehen nicht ein. Auf der Bühne der gol<br />

Performance ist für sie kein Platz.<br />

Tagebuchnotizen zum Vergleich der beiden gol im Jahr 2002 in Bunlap<br />

Muller beschreibt, daß die Teilnehmer am gol ein rituelles Bad im Meer zu nehmen hätten,<br />

und sich anschließend rasieren und bemalen sollen (Muller 1971:230). Für das erste gol im<br />

April des Jahres 2002 kann ich dergleichen praktisch gar nicht feststellen. Niemand hat sich<br />

Haare oder Bart geschnitten, lediglich Chief Warisul trägt als Zeichen seines Ansehens zwei<br />

tusker um den Hals. Auch haben lediglich zwei oder drei Männer ihre Kriegsstäbe mitgebracht,<br />

während die meisten anderen einfach grüne Stöcke im Busch abschlagen, mit denen<br />

sie statt dessen tanzen.<br />

Für das zweite gol im Mai hingegen, treffen Mullers Beobachtungen weitgehend zu. Die<br />

Männer sind alle sauber rasiert und haben ihre Haare geschnitten. Jedermann trägt rituellen<br />

Blätterschmuck und, soweit es die erreichten Titel zulassen, Tusker und Kriegsstäbe. Auch<br />

die besonderen, rot-weißen Gürtel aus geflochtener Pandanus, die über den Rindengürteln<br />

getragen werden, haben diesmal so gut wie alle Männer angelegt. Lediglich die von Muller<br />

beschriebenen Gesichtsbemalungen und gemeinsamen rituellen Waschungen sind wieder<br />

nicht zu verzeichnen, wenngleich einige Männer mir nachträglich und jeder für sich berichteten,<br />

am Meer gewesen zu sein und gebadet zu haben. Am Kostüm der Frauen hingegen ist<br />

kein Unterschied im Vergleich zum ersten gol des Jahres zu beobachten, allerdings hat sich<br />

die Anzahl sowohl der Tänzerinnen als auch der Zuschauer vervielfacht. Sogar die beiden<br />

Töchter von Chief Molbua, Wano und Mani, die einige Jahre in Point Cross in die Schule<br />

gegangen sind und sich selbst zuhause in Bunlap-Bena nicht mehr mit entblößter Brust zeigen,<br />

sind diesmal ausnahmsweise in kastom Tracht erschienen. Dabei hat sich Wano derartig<br />

viele der duftenden sega Blätter so geschickt um den Hals gelegt, daß man von ihren Brüsten<br />

gar nichts sehen kann. Dazu trägt sie stets einen Kugelschreiber in den Händen oder hinter<br />

dem Ohr, damit auch ja jedermann zur Kenntnis nimmt, daß sie keine kastom Frau mehr ist,<br />

sondern die Schule besucht hat und lesen und schreiben kann.<br />

Neben all diesen Details unterschied sich vor allem auch die Zahl der Teilnehmer erheblich<br />

zwischen den beiden gol. Während bei der ersten Veranstaltung einundzwanzig Springer, etwa<br />

sechzig Tänzer und vielleicht noch einmal so viele Zuschauer anwesend waren, konnte ich<br />

beim zweiten Turmspringen dreiundfünfzig Springer, weit über hundert Tänzer und geschätzte<br />

fünf- bis achthundert Zuschauer beobachten. Die Größe des Turmes, die Intensität der Vorbereitungen<br />

und die Zahl der Teilnehmer hängt also offenkundig davon ab, welchen Stellenwert<br />

man einem Turmspringen tatsächlich beimißt. Dabei spielt heutzutage, es läßt sich keinesfalls<br />

abstreiten, das Geld auch in Bunlap eine entscheidende Rolle. Je nachdem, was sich<br />

Besucher oder Filmteams ein Turmspringen kosten lassen (bzw. wieviel davon tatsächlich bei<br />

den Akteuren ankommt), macht man manch feinen (subtile Kleiderordnung) und manch offenkundigen<br />

(Größe des Turmes, Anzahl der Springer, Tänzer und Zuseher) Unterschied!<br />

(<strong>Thorolf</strong> <strong>Lipp</strong>. Bunlap, Juni 2002)<br />

Wer von welcher Höhe springen darf, wird relativ flexibel gehandhabt, sieht<br />

man einmal von den kleinen Jungen bis etwa zehn oder zwölf Jahren ab, die<br />

aufgrund ihrer mangelnden Erfahrung von einer der untersten drei Ebenen<br />

springen sollten. Hier werden es die älteren, erfahrenen Männer skeptisch betrachten,<br />

wenn ein noch sehr unerfahrener Junge gleich von sehr weit oben im<br />

Turm springen möchte. Dabei spielen Überlegungen um die Gesundheit des<br />

Jungen ebenso eine Rolle, wie die Befürchtung, der Wunsch der Älteren nach<br />

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