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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Einleitung<br />

mehr eine Art sportlicher Zeitvertreib, oder rauschhaftes Spiel. Turners Ritualtheorie<br />

schien zunächst für die nähere ethnographische Untersuchung des gol ein<br />

geeignetes Instrument zu sein und wurde daher während des Forschungsprozesses<br />

auch besonders berücksichtigt. Im Verlaufe der Forschung stellte sich nach<br />

und nach heraus, daß eine weitere, von Turner noch kaum beachtete Kategorie,<br />

zunehmend an Bedeutung für die Analyse des Turmspringens gewann. Die Rede<br />

ist vom Spektakel. Von allen Arten der kulturellen Performance stellt das “Spektakel“<br />

wohl die bislang am wenigsten untersuchte Kategorie dar. Obwohl als<br />

Begriff schon lange bekannt, steckt eine „Ethnologie des Spektakels“ fast noch<br />

in den Kinderschuhen (vgl. Mac Aloon 1984: 241).<br />

In unmittelbarer Verbindung zu den rituellen Aspekten sollte der mythologische<br />

Hintergrund betrachtet werden. So galt es zu untersuchen, ob und wie der<br />

Brauch im Zusammenhang mit bestimmten mythologischen Topoi der Sa gesehen<br />

werden kann und welche Interpretationen möglicherweise in Betracht kommen.<br />

Dabei war erst einmal die Frage von zentraler Bedeutung, ob es hier überhaupt<br />

eine „unverbrüchliche Einheit“ zwischen Mythen und Turmspringen gibt<br />

oder nicht. Spielen Mythen bei der neuerlichen Verbreitung des Turmspringens<br />

in der Region generell noch eine Rolle? Haben sich im Verlaufe der die letzten<br />

drei Jahrzehnte andauernden Revitalisierung des Turmspringens neue Mythen<br />

gebildet, die mit dem bis heute überlieferten, „ursprünglichen“ Mythos nichts<br />

mehr zu tun haben? Oder hat die Tatsache, daß das gol in einigen Dörfern auf<br />

der Westseite Pentecosts ausschließlich für Touristen aufgeführt wird, den Charakter<br />

der Veranstaltung grundlegend verändert?<br />

Anhand der Untersuchung ergab sich die Möglichkeit, ethnologische mit religionswissenschaftlicher<br />

Theorie in Beziehung zu setzen und so einen Beitrag zur<br />

interdisziplinären Forschung zu leisten. Es scheint, daß religionswissenschaftliche<br />

Ansätze in der Ethnologie nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt werden.<br />

An den Beispielen Victor Turners und Mircea Eliades wird dieser Umstand<br />

beispielhaft deutlich. Während der Ethnologe Turner zu den Klassikern der Religionswissenschaft<br />

gezählt wird (vgl. Michaels 1997), hat in der Ethnologie eine<br />

Auseinandersetzung mit wichtigen Religionswissenschaftlern, so etwa auch<br />

mit Mircea Eliade, nur wenig stattgefunden (vgl. <strong>Lipp</strong> 2000). In der kritischen<br />

Aufarbeitung dieses Ungleichgewichts besteht dringender Nachholbedarf und<br />

die Forschung zum Turmspringen schien ein geeignetes Fallbeispiel dafür zu<br />

sein, daß eine positive Wechselwirkung zwischen den Disziplinen möglich und<br />

wünschenswert ist.<br />

Wie nicht anders zu erwarten, erwiesen sich während der Feldforschung manche<br />

der im Vorfeld entwickelten theoretischen Überlegungen, Fragestellungen und<br />

Hypothesen als brauchbar, andere hingegen stellten sich als weniger relevant<br />

heraus. Immer stand jedoch die Maxime im Vordergrund, daß der am Schreibtisch<br />

entwickelte theoretische Rahmen nicht dazu führen durfte, die tatsächlichen<br />

inneren Zusammenhänge, soweit der Ethnologe diese eben erschließen<br />

kann, zugunsten eines vermeintlich stimmigeren, vielleicht gar „schöneren“<br />

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