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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Gol als Ritual? Versuche zur Ritualtheorie<br />

lich muß man auch die mitunter vorgebrachte vulgärethnologische Behauptung,<br />

der tarbe-gol müsse als überdimensionales Phallussymbol betrachtet werden,<br />

entschieden zurückweisen. 280 Diese Interpretationen klingen zwar nach symbolischer<br />

Schlüssigkeit, decken sich jedoch nicht mit dem ethnographischen Befund.<br />

18.10 Gol als riskantes Spektakel<br />

Ich habe gezeigt, daß man das gol weder als Initiations-, noch als Fruchtbarkeitsritual<br />

bezeichnen kann, und daß ihm überdies zentrale Elemente des Rituals<br />

generell fehlen, so daß es mitunter eher an eine Art Spiel erinnert. Ein Befund,<br />

der auch der emischen Perspektive der Sa selbst nächsten kommt. Andererseits<br />

meine ich aber, daß es sich um eine in so hohem Maße ausdifferenzierte Veranstaltung<br />

handelt, die so deutlich symbolische Bezüge transportiert, daß es ebenfalls<br />

zu ungenau erscheint, das Turmspringen einfach nur als „Spiel“ zu bezeichnen,<br />

zumal es sich so ganz mit den verschiedenen, für das Spiel zur Verfügung<br />

stehenden Gattungen auch nicht beschreiben läßt. Stellen wir uns daher<br />

abschließend die grundlegende Frage, in welche Kategorie kultureller Performance<br />

sich die Veranstaltung am ehesten einfügt.<br />

Betrachtet man alle Dimensionen des Turmspringens zusammengenommen, so<br />

scheint mir, daß der Begriff des „Spektakels“ am ehesten geeignet ist, seine verschiedenen<br />

Dimensionen zu erfassen. Von allen Arten der kulturellen Performance<br />

stellt das Spektakel wohl die am wenigsten untersuchte Kategorie dar,<br />

eine „Ethnographie des Spektakels“ ist gerade erst dabei, den Kinderschuhen zu<br />

entwachsen. 281 Ich beziehe mich bei meiner Betrachtung des gol auf John MacAloon,<br />

der den Begriff in Hinblick auf seine Untersuchung der Olympischen<br />

Spiele erfolgreich anzuwenden und zu präzisieren verstanden hat, wodurch er<br />

nach und nach auch in der Ethnologie entdeckt worden ist. MacAloon bezieht<br />

sich in seinem Aufsatz “Olympic Games and the Theory of Spectacle in Modern<br />

Societies” zunächst explizit auf das Spektakel als Erscheinung in modernen Gesellschaften<br />

(Mac Aloon 1984). Da er inzwischen jedoch selbst der von Turner<br />

vorgeschlagenen Trennung zwischen modernen und vormodernen Gesellschaften<br />

mehr und mehr skeptisch gegenübersteht (vgl. MacAloon 2006 & persönliche<br />

Kommunikation), halte ich den Versuch für berechtigt, den Begriff versuchsweise<br />

einmal auf eine Veranstaltung in einer vormodernen Gesellschaft,<br />

hier das Turmspringen, anzuwenden.<br />

Das Wort Spektakel ist etymologisch mit dem lat. specere (zusehen) bzw. dem<br />

indoeuropäischen spek (beobachten) verwandt. Bereits hier deutet sich an, daß<br />

es ohne Zuschauer kein Spektakel geben kann. Daß man sowohl zur Realisierung<br />

eines Spiels wie auch eines Rituals Akteure benötigt, leuchtet sofort ein.<br />

280 Nicht selten hört man solche Interpretationsversuche von wohlmeinenden gol-Touristen.<br />

281 Eigentlich verwunderlich, da der französische Kulturkritiker Guy Debord zumindest den<br />

Begriff als solchen mit seinem Buch „Die Gesellschaft des Spektakels“ (Debord 1996 [frz.<br />

zuerst 1967] tief in die Köpfe der Apologeten der 1968er Bewegung eingebrannt hat.<br />

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