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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Einleitung<br />

Ganz grundsätzlich: menschliche Gesellschaften sind nicht einfach. Über das<br />

(selbstgesponnene?) 15 Gewebe, das wir Kultur nennen, kann gesprochen werden,<br />

es gibt tatsächlich Parameter, die sich benennen, bestimmen und bedeuten lassen:<br />

Mythen und Rituale, in denen Symbole entfaltet werden, Kosmologie und<br />

religiöse Praxis, Ordnungsvorstellungen von Raum, Zeit oder sozialer Sphäre.<br />

Es gibt Macht, Legitimationsstrategien oder konkret nachweisbare historische<br />

Entwicklungen. Ich schließe mich daher Weber (1980) und mit ihm auch wieder<br />

Geertz (1973) an, die für die Notwendigkeit plädieren, Kulturen zu interpretieren<br />

und Bedeutungen nachzuspüren. Beides will ich in dieser Arbeit versuchen.<br />

Grundlage für meine Interpretation bildet eine nach bestem Wissen und Gewissen<br />

erstellte Ethnographie, die historische Dimensionen keinesfalls ausspart. Ich<br />

meine, daß wir es beim gol mit einem vielschichtigen Geschehen zu tun haben,<br />

das durch historische Veränderungen in seiner ursprünglichen Bedeutung vielfach<br />

gebrochen und mehrfach überlagert erscheint. Die bislang vorliegenden<br />

Deutungen des Geschehens sind dabei nicht hinreichend. Es handelt sich, wie<br />

wir noch sehen werden, um einfache, eindimensionale Erklärungen, welche die<br />

mehrschichtige soziale Wirklichkeit weder abbilden noch deuten können. Insofern<br />

kann man lediglich hoffen, mit Hilfe einer „dichten Beschreibung“ und eines<br />

multiparadigmatischen Theoriemodells eine mehrdimensionale Vorstellung<br />

des Phänomens zu gewinnen, wobei auch versucht wird, Relikten aus historisch<br />

tiefer liegenden Schichten nachzuspüren. Vielleicht bietet das, auf dem alten<br />

Gedanken des Palimpsestestextes basierende „Transdifferenz“ Konzept einen<br />

behutsamen Zugang zum Verständnis dieses Bildes. 16 Transdifferenz zielt auf<br />

jene Momente der Ungewißheit, der Unentscheidbarkeit und des Widerspruchs,<br />

die in Differenzkonzeptionen auf der Basis binärer Oppositionen (Tradition hier<br />

– Moderne dort) ausgeblendet werden. Daher ist das Konzept offen für die vielfältigen<br />

Formen der Nichtlinearität, der Mehrfachzugehörigkeiten und Überlagerungen<br />

sowie der Zwischenbefindlichkeiten, welche die Komplexität der Lebenswelten<br />

in menschlichen Symbioseformen ausmachen (vgl. Bargatzky 2007).<br />

Der Strukturfunktionalist würde diese Vorgehensweise ablehnen und sich, unter<br />

15 Ob all dies tatsächlich „selbstgesponnen“ ist, wie Weber meint, oder doch Ausdruck eines<br />

übergeordneten Prinzips, an dem wir Menschen Anteil haben, was unter den Ethnologen heute<br />

nur Strukturalisten und vielleicht noch Kognitionsethnologen vermuten, diese Schlüsselfrage<br />

beschäftigt mich und ich werde sie hier auch immer wieder aufgreifen (vgl. Weber 1980).<br />

16 Kulturelle Analyse auf kollektiver wie auf individueller Ebene geht in der Regel von Differenzdiskursen,<br />

Differenzbeziehungen und Phänomenen der Abgrenzung aus. Neuere Ansätze<br />

in den Kulturstudien haben sich bemüht, das damit einhergehende Denken in binären Oppositionen<br />

zu überwinden und Orte des 'Dritten' auszumachen, oft in Verbindung mit dem Postulat<br />

einer intrinsischen Subversivität des Hybriden. Transdifferenz betont demgegenüber die<br />

Unvermeidbarkeit des Denkens von Differenz bei gleichzeitigem Bewusstsein für die vielfältigen<br />

Überlagerungen, Mehrfachzugehörigkeiten und Zwischenbefindlichkeiten, die die<br />

Komplexität der Lebenswelt ausmachen. Es gilt daher, Transdifferenzphänomene im synchronen<br />

und diachronen Kontext kultureller Kommunikation und als Phänomen der Bildung<br />

und Ausübung von Macht zu reflektieren (vgl. dazu: http://www.kulturhermeneutik.unierlangen.de,<br />

Stand: 20. Oktober 2006)<br />

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