20.11.2013 Aufrufe

VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Bunlap zwischen Tradition, Adaption und Vision<br />

7. Bunlap zwischen Tradition, Adaption und Vision<br />

Indigene Völker „[…] desintegrieren schneller, als radioaktive Körper“ stellte<br />

Claude Lévi-Strauss in seinen „Traurigen Tropen“ klagend fest (Lévi-Strauss<br />

1978). Seine pessimistische Prophezeiung hat sich seither hundertfach bewahrheitet.<br />

48 Es verwundert nicht, daß Besucher der kastom Dörfer Südpentecosts<br />

davon überzeugt waren, und teils auch heute noch sind, es mit einer in den<br />

kommenden Jahren schnell dahinsiechenden, und letzten Endes aussterbenden<br />

Kultur zu tun zu haben. So schrieb etwa der amerikanische Ethnologe Robert<br />

Lane im Jahr 1956 von dem in seinen Augen unmittelbar bevorstehenden Ende<br />

der von ihm teils bewunderten, teils bedauerten „Heiden“ von Bunlap:<br />

„The present state of affairs can not continue indefinitely… These people are survivors of a<br />

lost world… The pressures for final destruction of the culture are strong; overt and recognized<br />

in the outer world, and convert and partially recognized within. The heathens live each day<br />

with the tacit realization that that which they value and seek to maintain has little chance of<br />

long surviving.” (Lane 1956:180f)<br />

Inzwischen, wir schreiben das Jahr 2006, sind genau fünfzig Jahre vergangen.<br />

Es ist keine Übertreibung, zu sagen, daß in den kastom Dörfern seither vieles<br />

beim Alten geblieben ist – ohne daß man allerdings von einem Stillstand sprechen<br />

könnte. Wie jede lebendige Kultur oszilliert auch kastom in einem stetigen<br />

Spannungsfeld zwischen Traditionsbewußtsein, Adaptionszwängen und utopischen<br />

Visionen. Es kann zwar kein Zweifel daran bestehen, daß es die Bewohner<br />

der kastom Dörfer bis heute in erstaunlich hohem Maße verstanden haben,<br />

sich dem Anpassungsdruck der modernen Zivilisation zu entziehen, aber auch<br />

sie können eine sich verändernde Umwelt nicht gänzlich ignorieren. Kastom, das<br />

soll hier nochmals in Erinnerung gerufen werden, beschränkt sich keineswegs<br />

auf ein bloßes Festhalten an bestimmten traditionellen, oder für traditionell gehaltenen,<br />

Formen, sondern stellt vielmehr ebenso eine bewußte Weiterentwicklung<br />

dieser Formen dar. Wir werden uns damit, was kastom in Bunlap heute im<br />

Einzelnen bedeutet, in den nächsten Kapiteln ausführlich beschäftigen. Dabei<br />

soll keineswegs in Vergessenheit geraten, daß das Thema dieser Arbeit das<br />

Turmspringen ist, das einen bedeutenden Bestandteil der kastom Ideologie darstellt.<br />

Um besser verstehen zu können, welches die Rahmenbedingungen für das<br />

gol, dieses „totale soziale Phänomen“ sind, ist es jedoch unerläßlich, die Grundlagen<br />

der Kultur der kastom Sa hier in ihren Grundzügen darzustellen. Ihre Vor-<br />

48 Hier soll durchaus nicht in Abrede gestellt werden, daß nicht selten Elemente indigener<br />

Kulturen überlebt haben, wiederbelebt wurden oder eben als Synkretismen zu neuem, altem<br />

Leben erwachen (vgl. Berner 1982). Ich behaupte jedoch, daß eine Entwicklung hin zu einem<br />

modernen, durch die cartesianische Trennung von res cogitans und res extensa bestimmten<br />

Weltbild, eine nicht mehr zu schließende Lücke zum Zustand der „Urproduktion“ schafft<br />

(zum Begriff „Urproduktion“ vgl. Bargatzky 1997b). Die zentralen Probleme, die der Ethnologie<br />

daraus entstanden sind – v.a. der Verlust ihres Gegenstandes – betrachte ich als immer<br />

noch ungelöst.<br />

- 74 -

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!